Vor dem Sturm
die Feen befreunden können.
An Faulstich und Tante Amelie habe ich heute früh geschrieben. Wenig zu meiner Zufriedenheit. Die Briefe an die Gräfintante passen mir nie; ich weiß nicht, woran es liegt. Ich sollte mir einen Sammelkasten für Anekdoten und Bonmots anlegen und diesen Kasten einfach ausschütten, wenn ich einen Brief an die Tante zu schreiben habe. Aber dergleichen kann ich nicht. Ich leide mitunter unter meiner Schwerfälligkeit, und um so mehr, als es derselbe Zug ist, den mir Kathinka nicht verzeiht.
Ich werde sie heute abend sehen, auch Tubal. Dieser ist viel mit Bninski und dem Rittmeister von Hirschfeldt zusammen, einem ausgezeichneten Offizier, der in Spanien war (auf englischer Seite), was aber nicht hindert, daß er sich mit dem Grafen befreundet hat. Das letzte Mal, daß ich Tubal sah, es war in Lehnin; während wir die Kirche besuchten, fragte er mich: ›Wann reisen wir nach Hohen-Vietz?‹ Ich lasse dahingestellt sein, ob ihm dabei die Enrollierung in das Landsturmbataillon Lebus oder seine Cousine Renate mehr am Herzen lag.
Und nun lebe wohl. Ich sehe heiterer in die Zukunft als seit lange. Alles läßt sich gut an, das Große und das Kleine. Und das Kleine ist die Hauptsache, denn es ist das Ich. Gruß an Papa und die Freunde.
Dein
Lewin
«
Es war inzwischen ein Uhr geworden, und da sein Mittagsweg ihn ohnehin an dem großen Postgebäude vorüberführte, so unterzog sich Lewin der Mühe, die fünf Briefe, die das Ergebnis dieses Vormittags waren, selbst am Schalter abzugeben. Neben der Post war das Ladalinskische Haus; er sah hinauf, aber in allen Zimmern der ersten Etage, auch in dem des Geheimrats, waren die Rouleaux herabgelassen. Er sann einen Augenblick nach, was die Ursache davon sein könne, vergaß aber den gehabten Eindruck wieder, als er an der Ecke der Stechbahn Jürgaß begegnete, mit dem er nun ein kurzes Gespräch über die nächste Kastaliasitzung führte.
»Auf Dienstag!« damit trennten sie sich, und Lewin, nachdem er in der Taubenstraße an alter Stelle sein einfaches Mittagsmahl eingenommen hatte, ging auf die lange, der ehemaligen Berliner Stadtmauer entsprechende Wallstraße zu, von der aus er – in nur geringer Entfernung vom Spittelmarkt – in die aus alten und stattlichen, aber freilich auch heruntergekommenen Häusern bestehende Kreuzgasse einbog.
In einem dieser alten und stattlichen Häuser wohnte
Hansen-Grell
, zu dem sich Lewin um seiner Schlichtheit und kaum minder um seines romantischen, eben dieser Schlichtheit fast widersprechenden Zuges willen von Anfang an in hohem Maße hingezogen gefühlt hatte. Eine Aufforderung zu einem Besuche war nie ausgesprochen worden, aber als sie vor zwei Tagen, wo ein Zufall sie zusammengeführt, sich nach längerem und sehr eingehendem Geplauder wieder getrennt hatten, hatte Lewin den Entschluß gefaßt, diesen Besuch in Grells Wohnung auch ohne Aufforderung zu machen. Es war ein Hochparterre. Acht oder zehn Steinstufen, ausgelaufen und von einem verbogenen Eisengeländer eingefaßt, führten hinauf. An der Tür, mit dicker Feder auf ein halbes Kartenblatt geschrieben, stand
Hansen-Grell
.
Lewin klopfte.
»Herein!«
Es war eine in drei Felder geteilte, nur mit dem vordersten Drittel sich öffnende Tür, gerade breit genug, einen Menschen mit seiner Schmalseite hindurchzulassen. Lewin passierte das Defilee und befand sich in einem großen, wohl vierzehn Fuß hohen Raum, in dem er auf den ersten Blick nichts weiter als vier kahle, gelbgetünchte Wände und einen ungeheuren schwarzen Kachelofen erkennen konnte. Zugleich hatten sich vier lange, schmale Gardinenstreifen, bei dem durch das Öffnen der Tür entstandenen Luftzug, in eine langsam schwerfällige Bewegung gesetzt. Aber dieser Eindruck des Kahlen und Öden blieb nicht lange, und die gemütlicheren Elemente kamen zu ihrem Recht. In dem von innen her geheizten Ofen war der Torf so weit niedergebrannt, daß der Anblick der in blauen Flämmchen zuckenden Glut mit diesem unschönsten aller Heizungsmateriale wieder aussöhnen konnte, und von dem danebenstehenden, mit Büchern überdeckten Klapptisch stiegen kleine, sich kräuselnde Wölkchen auf und zogen dem Eintretenden wie ein freundlicher Gruß entgegen. Hansen-Grell war bei der Präparation seines Nachmittagkaffees.
»Einen Augenblick noch«, rief er, und den Topf mit kochendem Wasser, den er nur halb geleert hatte, wieder in die Glut des Ofens schiebend, trat er jetzt Lewin entgegen und reichte ihm die
Weitere Kostenlose Bücher