Vor dem Sturm
seines Stammes wird das Zepter aus der Hand geschlagen werden.‹ Aber diese Feinde Preußens haben nicht zu Ende gelesen, und wir, die wir andern Sinnes sind, lesen uns eine andere, schönere Stelle heraus, in der es anschließend an jene Worte der Trauer heißt: ›Und die Mark vergißt all ihrer Leiden, und kein Fremdling darf fürder über sie frohlocken.‹ Ja, meine Freunde,
diese
Stunde ist da, und weil sie da ist, ruf ich in eben dieser Halle, die nun bald wieder – auch
das
verkündet uns die Weissagung – im Glanze eines neuen goldenen Daches in alle Lande hineinleuchten wird: Vivat Borussia! Was aber aus Nacht geboren wurde, versink auch in Nacht. Pereat Bonaparte!«
Das Pereat verklang, ohne daß es, zunächst wenigstens, beantwortet worden wäre, denn während Jürgaß noch seine letzten Worte sprach, war unten in der Halle, genau da, wo die Falltür sein mußte, ein dunkelqualmiges, aus der Tiefe kommendes Licht sichtbar geworden, und aus eben diesem qualmigen Lichte hatte sich zittrig und wackelnd erst ein Hut von wohlbekannter Form und dann ein kurzer französischer Uniformrock erhoben, mit schlaff herabhängenden Ärmeln und allerhand wunderlichem Fingerwerk, von dem sich nicht hatte erkennen lassen, ob es menschliche Hände oder abgestutzte Wurzelzweige waren. Einen Augenblick stand die Erscheinung und sah kopf- und augenlos die Halle hinunter; dann versank sie wieder in dieselbe Tiefe, aus der sie aufgestiegen war. Und mit schwerem Schlage, der durch die Halle dröhnte, schlug die Falltür zu.
Nun erst löste sich der Bann, und die Grafen Seherr-Thoß und Zierotin, die Jürgaß zunächst saßen, wiederholten jetzt das Pereat, in das alle übrigen Gäste in rasch wiedergewonnener Tafelheiterkeit einstimmten. Nur Hirschfeldt schwieg; er hatte sich draußen in der Welt im Kampfe gegen den »großen Feind der Menschheit« einen Respekt vor eben diesem Feinde erworben, der ihn an Szenen, in denen der renommistische Ton des Regiments Gensdarmes nachklang, wenig Gefallen finden ließ.
Eine kurze Weile noch ging das Geplauder und wechselten die Reden, unter denen auch ein kurzer, in pointierter Weise gesprochener Toast Kathinkas auf den »Reisemarschall« war; dann erhob sich dieser und sagte, auf das beinahe niedergebrannte Kaminfeuer deutend: »Es erlischt, und mit ihm unser Fest.«
Und damit war das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Als sie gleich darauf, von den Fackelträgern begleitet, paarweise die Halle hinunterschritten und an der Falltür vorüberkamen, lag diese, weil der Luftzug hier die Flocken gegen die Giebelwand getrieben haben mochte, höher unter Schnee als die andern Teile der offenen Halle. Jürgaß, der den Zug führte, wies darauf hin und sagte: »Begraben in Schnee.« Und mit diesen Worten hatten alle den Ausgang erreicht, stiegen die hohen Steinstufen hernieder und nahmen ihre Plätze in den Schlitten, die bereits vorgefahren waren.
Eine Viertelstunde später lag alles, Lehnin und seine Kirche, das Refektorium und die »Erscheinung im kleinen Hut«, wie ein Traum hinter ihnen, und durch den stillen Wald hin hörte man das Gespräch und das Lachen der einzelnen Paare.
Man war übereingekommen, frischerer Unterhaltung halber, an den einzelnen Stationspunkten die Plätze zu wechseln. Die Fahrt auf der ersten Station machte Lewin mit Jürgaß, bei welcher Gelegenheit ihm auch Auskunft wurde, mittelst welcher alten Beziehungen sich das In-Szene-Gehen dieses Lehniner Festes überhaupt ermöglicht hatte; in Groß-Kreuz indessen bei dem eintretenden Plätzewechsel kam Jürgaß an die Seite der Matuschka, während sich Kathinka Lewin als ihren Partner erbat.
»Du scheinst dich vor mir zu fürchten; aber das Törichtste, Freund, ist immer die Furcht. Da du mich zu wählen versäumtest, wähl ich dich. Und so ist es immer; das Unglück, das wir fliehen wollen, läuft uns nach.«
Und ehe noch die letzten Worte gesprochen waren, flog der Schlitten, auf dessen schmaler Holzpritsche Lewin Platz genommen hatte, die Groß-Kreuzer Eichenallee hinauf und bog dann in den schmalen Uferweg ein, der sich zwischen der scheinbar endlosen, in Eis und Schnee daliegenden Havelfläche und den verschneiten Plateauabhängen hinzog.
Sie waren schon eine gute Strecke gefahren, ohne daß ein Gespräch versucht oder auch nur ein einziges Wort gewechselt worden wäre; endlich sagte Lewin, indem er sich vorbeugte:
»Gib mir deine Hand, Kathinka.«
Sie tat es, und er bedeckte sie mit Küssen. »Ich kann
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