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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Die schöne Macht des Idealen, durch einfache Verhältnisse mehr unterstützt als beeinträchtigt, war ihm nie reiner entgegengetreten. Er hatte während seines Besuches mehr als einmal an Faulstich denken müssen; und doch, bei manchem Verwandten, welcher Unterschied! In der Beschäftigung mit den Künsten, auch in der Freude daran, waren sich beide gleich; aber während der eine das Schöne nur feinsinnig kostete, strebte ihm der andere mit ganzer Seele nach. Was den einen verweichlichte, stählte den andern, und so war Grell ein Vorbild, während Faulstich eine Warnung war.
    Es fehlte heute das Abendrot, das sonst wohl um diese Stunde drüben über den Dächern hing, und so kam es, daß in Lewins Zimmer bereits ein völliges Dunkel herrschte. Er klopfte bei Frau Hulen; sie war nicht zu Hause. Ebenso fehlte die grüne Schirmlampe und war auch in dem Nebenzimmer nicht zu finden.
    »Was nur der Alten ist?« sagte Lewin und war einen Augenblick verdrießlich über die »Unordnung«, lachte aber bald wieder und setzte hinzu: »Freilich die erste in anderthalb Jahren.«
    Er tappte bis in die Küche, schürte in der Herdasche, bis die Glut zutage kam, und zündete seinen Wachsstock an. Und nun vorsichtig, um die Mühe des Anzündens nicht noch einmal zu haben, ging er in sein Zimmer zurück.
    Jetzt erst sah er, daß ein Brief auf dem Tische lag, die Aufschrift sehr flüchtig, allem Anscheine nach von Tubals Hand. Was ihm am meisten auffiel, war das unverhältnismäßig große Siegel. Es war ersichtlich, daß der Inhalt gegen unbefugte Neugier hatte sichergestellt werden sollen. Wenn Frau Hulen einen schwachen Punkt hatte, so lag er nach dieser Seite hin.
    Lewin wußte davon. Er lächelte deshalb, als er das Siegel erbrach und den auseinandergefalteten Bogen, bequemeren Lesens halber, neben die kleine Wachsstockflamme hielt. Aber sein Lächeln währte nur einen Augenblick. Es waren nicht mehr als drei Zeilen.
     
    »Komm heute abend nicht; Kathinka ist fort. In einem Zettel, den wir auf ihrem Schreibtische fanden, hat sie Abschied von uns genommen. Alles andere errätst Du.
    Dein
Tubal
«
     
    Das Blatt entfiel seiner Hand, während er selber auf das Sofa zurücksank. Er war eine Minute lang wie betäubt. Dann richtete er sich auf und legte seinen Kopf erst in seine zusammengefalteten Hände, dann auf Tisch und Sofalehne; aber alles war ihm zu heiß. Er sprang auf und trat an das Fenster. Die fahle Mondessichel, eben aus dem Gewölk heraus, sah ihm ins Gesicht; ein paar Krähen drüben flogen auf; unten knarrten die Laternen. Die Kühle der Scheiben tat ihm wohl, aber die Angst blieb und stieg ihm höher ans Herz. Ihn verlangte nach Luft; so nahm er eine Filzkappe vom Riegel und schritt auf Flur und Treppe zu. Er war schon auf den ersten Stufen, als er, plötzlich durch kleine Sorglichkeiten bestimmt, wieder umkehrte, um die Zeilen zu zerreißen, die auf dem Tische liegengeblieben waren, und den noch brennenden Wachsstock auszulöschen. Nun erst verließ er das Haus.
    Unten bog er in die Königsstraße ein; aber die Steinmassen bedrückten ihn, wie ihn das Zimmer bedrückt hatte, und er empfand deutlich, daß er aus der Stadt heraus müsse. So hielt er sich rechts und nahm dann über den Alexanderplatz hin seine Richtung auf das Frankfurter Tor zu.
    Es war derselbe Weg, den er am Tage, wo das Dachsgraben in der Dahlwitzer Forst sein sollte, gemacht hatte. Als er wieder in die Nähe des Gasthauses zur »Neuen Welt« kam, das damals in rechter Vormittagsstille dagelegen hatte, sah er, daß alle Fenster erleuchtet waren; Klarinetten spielten auf, und junge Paare, denen es drinnen zu heiß geworden war, standen draußen unter den beschneiten Lindenbäumen. Was kümmerte sie der Wind, der ging, oder der Schnee, der lag? Der nächste Tanz brachte die Verkühlung wieder heraus.
    Lewin hatte sich an einen der zwei Pfosten gelehnt, die mittelst eines darübergelegten Querbalkens den ziemlich primitiven Eingang zur »Neuen Welt« bildeten. Die Musik drinnen ging immer frischer. Er schlug den Takt mit dem rechten Fuße mit und fand den Tanz allerliebst. »Wer doch auch mit dabei wäre! Wer tanzen will, dem ist leicht gespielt, sagt das Sprichwort. Warum heißt es nicht: Wem gespielt wird, der tanze!«
    In diesem Augenblick legte sich von hinten her ein Arm um seine Hüfte, und ein junges Ding, das sich am Heckenzaune hin, ohne daß er es merkte, herangeschlichen haben mußte, sagte vertraulich:
    »Komm, sie stimmen schon. Es gibt

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