Vor dem Sturm
umgehenden Gerüchten gehört haben mußte, sprach doch von diesen »Petersburger Tagen« wie von einer lieben Erinnerung des Grafen und würde noch tiefer in den etwas diffizilen Gegenstand eingedrungen sein, wenn nicht Drosselstein, durch rasches Akzeptieren der Mission, alles erledigt und zu seiner weiteren Sicherheit an Renaten die Frage gerichtet hätte: »Wo nehmen wir den Kaffee?«
»Natürlich in der Galerie.«
»Dort, fürcht ich, ist es zu kalt.«
»Gleichviel. Die Herren haben die Pflicht, abgehärtet zu sein, und ich stecke mich in Muff und Mantel.«
Drosselstein war es zufrieden, flüsterte gleich darauf dem hinter seinem Stuhle stehenden Diener einige Worte zu und lenkte dann das Gespräch auf Faulstich und Nippler hinüber, deren gemeinschaftliches Kantatenwerk als ein neutraler Boden für die Konversation angesehen werden konnte. Bamme – nachdem zuvor Nipplers Ansprüche auf den Titel eines »verkannten Genies« untersucht und mit Stimmengleichheit verneint und bejaht worden waren – sprach bei dieser Gelegenheit die Hoffnung aus, daß die Kürze des Textes durch die Komposition nicht wieder in Frage gestellt werden möge.
Dieser zugespitzte Satz bot einen guten Tafelschluß. Drosselstein erhob sich, und nachdem er seine Gäste noch einige Minuten in dem Empfangszimmer festzuhalten gewußt hatte, bat er sie, wie es Fräulein Renate befohlen habe, den Kaffee in der
Galerie
nehmen zu wollen.
Zwölftes Kapitel
Die Weiße Frau
Diese »Galerie«, nach Norden hin gelegen, zog sich durch den ganzen linken Flügel des Schlosses. Sie bestand aus drei Sälen, von denen der vorderste die Familienbilder enthielt, einige davon mit großer historischer Staffage. Die Gardinen waren auch hier geschlossen, ein Kaminfeuer brannte, und der Kaffeetisch war inmitten des Saales serviert. Was aber mehr als alles dies das Auge der Eintretenden gefangennahm, waren zwei auf hohen Tripoden stehende Silberschalen, die, zu beiden Seiten des Kamins placiert, ihre blaßblauen Spritflammen in zwei leise zitternden Säulen aufsteigen ließen. Der Graf hatte dies angeordnet, um den kalten Raum rascher zu erheizen, aber vielleicht mehr noch um des malerisch-phantastischen Effektes willen. Und dieser Effekt war erreicht. Es fehlte nicht an Beglückwünschungen.
In weitem Halbkreise wurde Platz genommen, und während noch der Kaffee herumgereicht wurde, zeigte Renate, die jetzt zwischen Grell und Hirschfeldt saß, auf ein unmittelbar vor ihnen hängendes Bildnis in ganzer Figur, das im Schein der beiden blauen Flammen an gespenstigem Leben zu gewinnen schien.
»Das ist sie.«
Grell rückte seinen Stuhl zurück, um besser sehen zu können, und sagte dann: »Ein schöner Kopf, aber unheimlich.«
»Ich vermute«, setzte Hirschfeldt hinzu, »daß aus dem unheimlichen Ausdruck dieser Augen die Sage selbst entstanden ist; sie fordern zu der Annahme heraus, daß sie nicht dazu bestimmt waren, sich wie zwei gewöhnliche Augen im Tode zu schließen. Sie haben etwas, als müßten sie wachen und endlos sehen.«
»In jeder alten Galerie finden sich solche Bilder«, sagte Berndt. »Sonderbarerweise sind es immer Frauen, und zwar junge und schöne Frauen.«
»Ein sehr lehrreicher Wink«, bemerkte Bamme, »der aber unbeachtet bleiben wird, wie so viele andere. Übrigens würd ich dankbar sein, über kurz oder lang zu hören, um was es sich eigentlich handelt. Diejenigen unter uns, die das Glück hatten, an Fräulein Renatens Seite die Fahrt hierher zu machen, scheinen inzwischen in einen Geheimbund eingetreten zu sein. Ich vermute, wenn Vermutungen gestattet sind: Wangeline von Burgsdorff.«
Drosselstein nickte.
»Dacht es«, fuhr Bamme fort. »Faulstich hat mir vor Jahr und Tag davon erzählt, aber er kam über Andeutungen nicht hinaus. Ich möchte mehr davon wissen. Hören Sie, wie draußen die Rouleauxringe an den Scheiben klappern? Es muß windig geworden sein. Das ist so recht ein Ton für Gespenstergeschichten. Da wir zwölf Uhr nicht haben können, so müssen wir mit sechs Uhr zufrieden sein. Also Thema: Wangeline. Sie muß eine Großtante von Ihnen gewesen sein, Drosselstein. Was war es mit ihr?«
»Eine kurze Geschichte«, sagte dieser. »Wangeline von Burgsdorff war Hoffräulein und stand im Dienst einer Herrin, die rücksichtslos und ehrgeizig dem aus erster Ehe stammenden Erbprinzen die bekannte ›vergiftete Orange‹ zubestimmt, aber vorläufig nur ans Krankenlager gestellt hatte. Da, von plötzlicher Reue
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