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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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dicht über dem Gürtel, ist dunkelrot. Und das Bild wurde doch zwei Jahre vor ihrem Tode gemalt.«
    »Sonderbar«, sagte Grell, der sich inzwischen auf seinem Rücksitz eingerichtet hatte.
    »Ja, das ist es. Aber es überrascht in Hohen-Ziesar weniger als anderswo. Das Schloß ist reich an Sonderbarkeiten, darunter Ausgegrabenes aus Herkulanum und Pompeji: Pinzetten und Brochen und, denken Sie sich, eine Nagelschere. Der Graf war lange dort und hat alle diese Dinge mitgebracht.«
    »Und ich werde mich freuen, sie kennenzulernen«, entgegnete Grell, »möchte jedoch der prophetisch gemalten roten Rose den Vorzug vor allem anderen geben.«
    »Und darin haben Sie recht«, erwiderte Renate. »Und auch darin, daß Sie mich an mein verlorenes Thema mahnen. Die pompejanische Schere schnitt mir den Faden entzwei. Aber wovon wollt ich sprechen? Ja, von sonderbaren Bildern in Hohen-Ziesar. Nun, auch davon ist die Hülle und Fülle da. So zum Beispiel ein Bildnis der ›Weißen Frau‹.«
    »Der ›Weißen Frau‹!« riefen Grell und Hirschfeldt a tempo und mit einer Lebhaftigkeit, als ob ihnen dieselbe bereits erschienen wäre. Dann setzte Hirschfeldt hinzu: »Aber seit wann lassen sich die Gespenster porträtieren?«
    »Nein«, lachte Renate. »So Pikantes darf ich Ihnen freilich nicht in Aussicht stellen. Es ist das Porträt eines schönen Hoffräuleins aus den letzten Regierungsjahren des Großen Kurfürsten, Wangeline von Burgsdorff. Sie starb jung und muß als ›Weiße Frau‹ umgehen, um ihre Schuld im Tode zu büßen. Natürlich eine Liebesschuld.«
    Hirschfeldt lächelte, Grell aber, der alles etwas pedantisch nahm, wiederholte den Namen »Wangeline von Burgsdorff« und setzte dann hinzu:
    »Ich war der Ansicht, daß es eine Gräfin von Orlamünde sei, auf der Plassenburg heimisch und, wenn ich mich nicht irre, auch auf dem Bayreuther Schloß. Es ist mir noch in Erinnerung, daß ich als Kind immer mit Gruseln von den ›vier Augen‹ las, die ›zwischen stünden‹ und aus der Welt geschafft werden müßten. Ich verstand es nur halb, aber um so mehr erregte es meine Phantasie. Und nun hör ich einen anderen Namen: Wangeline von Burgsdorff.«
    »Sie dürfen mich nicht examinieren«, erwiderte Renate. »Wollen Sie mehr wissen, so muß das Haupt der Kastalia nachhelfen. Sage, Lewin, wie war es?«
    Aber dieser, statt Auskunft zu geben, zeigte nur, während er die Leinen in seine Linke nahm, mit der Rechten auf das hinter Parkbäumen eben sichtbar werdende Schloß und sagte: »Der Graf selber mag uns antworten.«
    Wenige Minuten später hielt der Schlitten auf der nach dem Garten zu gelegenen Rampe, wo Drosselstein seine junge Freundin bereits erwartete und ihr beim Aussteigen die Hand reichte. So traten sie durch eine Doppeltür in das Empfangszimmer ein. Hirschfeldt und Grell folgten.
    Das Empfangszimmer war ein großer quadratischer, fast durch die ganze Tiefe des Hauses gehender Saal, hinter dem nur noch ein schmaler Korridor lief. Der Korridor sah auf den Innenhof, wie der Empfangssaal auf Garten und Park. In diesem Saale ließ sich auf den ersten Blick erkennen, daß der Besitzer von Hohen-Ziesar reich und vielgereist und von gutem Geschmack in den bildenden Künsten sein müsse. An der einen Wand hing ein großes Tableau, halb Architektur, halb Landschaft, das alte ostpreußische Schloß der Drosselsteins darstellend. Diesem Tableau gegenüber befand sich das Bild der verstorbenen jungen Gräfin. Grell suchte die rote Rose und fand sie. Er hatte sich die Rose noch röter und die Gräfin selbst noch schöner gedacht, also eine doppelte Enttäuschung, von der die zweite wahrscheinlich nur eine Folge der ersten war. In allen Fensternischen befanden sich Orangeriekübel und Blumentische, während an den drei anderen Seiten des Saales Konsolen von schwarzem Marmor liefen. Auf diesen standen römische Kaiser mit rot eingeschriebenen Namen. Bamme, der schon eine Viertelstunde lang da war, hatte zwei, drei davon gelesen: Geta, Caracalla, Alexander Severus, und war dann mit einem hingemurmelten »nicht zuviel auf einmal« von der Konsolenreihe zurückgetreten; eine ziemlich dunkele Bemerkung, die sich wahrscheinlich auf seine verwandten numismatischen Vormittagsstudien bei Seidentopf bezogen hatte.
    Das Gespräch war über Oberflächlichkeitsfragen noch kaum hinaus, als Drosselstein Renaten seinen Arm bot, um diese zu Tische zu führen. Eine zurückgeschlagene Doppelportiere zeigte den Weg in das nebenangelegene Eßzimmer.

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