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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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beide«, und dabei zeigte sie mit ihrer Hand auf einen alten, aufrechtstehenden Grabstein, der in die Wandstelle dicht neben dem Muttergottesbilde eingemauert war.
    Tubal trat an den Stein heran und las: »Katharina von Gollmitz.«
    »Ja, das war ihr Name.«
    »Lassen wir den Namen«, sagte Tubal, »was soll er uns? Was sollen uns die Toten?«
    »Doch, doch, Sie müssen von ihr hören. Sie war die Freundin eines
damaligen Fräulein von Vitzewitz
, den Vornamen hab ich vergessen, aber nehmen wir an, daß sie Renate hieß.«
    »Nicht Renate.«
    »Ja, nehmen wir an, daß sie Renate hieß. Und ihre Freundin, eben diese Katharina von Gollmitz, deren Grabstein Sie hier vor uns sehen, die starb hier und wurde hier begraben. Aber das tote Fräulein von Gollmitz hatte Sehnsucht in ihre Heimat und wollte fort von hier und aus dem fremden Grabe wieder heraus.«
    »Ich glaub es nicht.«
    »Oh, Sie müssen es glauben, denn es ist wahr, und es weiß es jedes Kind hier. Und immer, wenn das Fräulein von Vitzewitz über diesen Grabstein hinschritt, der damals noch mit den andern Steinen im Mittelgange lag, dann hörte sie, wie die Freundin rief: ›Renate, mach auf !‹«
    Tubal lächelte.
    »Und so rufen auch wir jetzt; nicht wahr?«
    »Nicht ich.«
    »Doch, doch, Sie müssen es auch rufen, denn so gemahnt uns der Grabstein. Und alles, an das uns die Grabsteine mahnen, auch wenn sie stumm sind, das müssen wir tun.«
    »Ja; nur nicht heute, nur nicht in dieser Minute. Wir
leben
, Marie.«
    »Aber wie lange noch?« antwortete diese.
    Tubal stutzte. Es war etwas in ihrem Wort, das ihn getroffen hatte. Er entschlug sich indessen des Eindrucks wieder und sagte nur: »Lassen wir die Grabsteine.«
    Und damit schritten sie wieder in den Mittelgang der Kirche zurück.
    Als sie die vordersten Bänke beinah erreicht hatten, unterbrach Tubal das lange Schweigen und sagte mit weicherer Stimme: »Nicht wahr, Marie, wir wollen gute Kameraden sein? Das Schicksal hat uns hier zusammengeführt. Ist es nicht, als ob wir einander gehören sollten?«
    »Nein, nicht wir... Aber horch, ich höre Stimmen.«
    »Welche?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Nicht
unsere
Stimmen, Marie, nicht
Ihre
, nicht die
meine?
«
    »Nein, nein, Renatens.«
    Sie betonte den Namen, und er fühlte wohl, weshalb. Aber außer sich ergriff er jetzt ihre Hand und sagte mit rasch sich steigernder Heftigkeit: »Renate und immer wieder Renate. Wozu, was soll es? Ich bitte Sie, nur jetzt nicht diesen Namen; ich mag ihn nicht hören. Er will sich zwischen uns stellen, aber er soll es nicht. Nein, nein, Marie!« Und er warf sich nieder und umklammerte sie, während er sein glühendes Gesicht an ihrem Kleide barg. Einen Augenblick war es ihr, als ob sie nach Hülfe rufen oder in der pochenden Angst ihres Herzens das Altartuch erfassen sollte, aber plötzlich von einem andern Gedanken durchblitzt, riß sie die halb offene Türe auf, die zu dem Majorsstuhl führte, und zeigte mit ihrer Rechten auf die Blutstelle, die das Grauen aller derer war, die davon wußten.
    Umsonst.
    »Und ob Leben und Sterben zwischen uns stünde«, rief er, »ich lasse dich nicht, Marie... ich will es...«
    Da wurd es wirklich von außen her laut, der Schlüssel drehte sich im Schloß, und gleich darauf erschien der alte Jeserich Kubalke und kam zwischen den Chorstühlen langsam die Fliesen herauf.
    »Nichts für ungut, junger Herr. Aber mit einundachtzig, da hat man keine Augen mehr, und da hab ich Sie denn eingeschlossen und gefangengesetzt. Und zwei schmucke Gefangene, das muß ich sagen. Ja, ja, Marie.«
    Beide hatten unter dieser Begrüßung ihre Ruhe wiedergewonnen und erzählten nun dem Alten, daß sie die Zeit ausgenutzt und die großen Grabsteine gelesen hätten, auch den von der Gollmitz.
    »Auch den von der Gollmitz. Weiß schon, das war das Fräulein, das nicht hier bleiben wollte. Ja, das muß man lesen. Aber die jungen Leute tun's nicht, und wenn sie's tun, so denken sie nichts dabei. Ja, die Grabsteine...«
    So plaudernd, waren sie wieder bei dem Ausgange der Kirche angekommen.
    »Vater Kubalke«, sagte Marie, »wir haben denselben Weg.«
    Tubal trat an sie heran und bot ihr die Hand, wie zum Zeichen, daß Friede zwischen ihnen sein solle. »Es war ein Traum, Marie. Nicht wahr?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Dann nahm sie den Arm des Alten, der die letzten Worte kaum gehört, am wenigsten beachtet hatte, und stieg mit ihm einen der schmalen Pfade hinab, die von dem Kirchhügel aus auf die Mitte des

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