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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Gewohnheit nach, musterte das Zimmer, das aus der Zeit stammte, wo Gotik und Renaissance sich um die Herrschaft gestritten hatten. Der Erker war noch gotisch, während die großen Wandflächen und insonderheit die Stuckornamente schon auf Etablierung der Renaissance deuteten. Ebenso der Ofen, der auf seinen grünglasierten Kacheln die Geschichte des Tobias darstellte.
    »Ein delikater Rauenthaler«, sagte Bamme, »werde mir seinerzeit die Adresse der Handlung ausbitten. Hoffentlich kein Geheimnis. Aber nun zu den Geschäften, meine Herren. Carpe diem. Staunen Sie nicht, Vitzewitz, mich schon wieder auf den Schleichwegen der Klassizität zu betreffen. Umgang bildet, und man ist seiner Gesellschaft etwas schuldig. Aber nun Ihren Plan, Othegraven.«
    Othegraven verbeugte sich etwas steif und sagte dann: »Es wird sich, nachdem unser Freund Turgany bereits die Ehre gehabt hat, Ihnen unseren Überfallsplan vorlegen zu dürfen, im wesentlichen nur noch um Kenntnisnahme der Lokalität wie um Festsetzungen hinsichtlich der Zeit handeln, immer vorausgesetzt, daß nicht Ihrerseits, Herr General, Änderungen oder neue Vorschläge beliebt werden. Unterbleiben diese« – Bamme nickte –, »so werd ich Altes mehr zu rekapitulieren als dem Ihnen schon Bekannten erheblich Neues hinzuzufügen haben.«
    »Desto besser. Viele Strähnen verwirren nur. Also repetieren wir unser Exerzitium.«
    »So bitte ich Sie denn, Herr General, an dies Erkerfenster herantreten zu wollen. Auch die anderen Herren. Wir haben dann unser Aktionsfeld vor uns, und das wenige, was überhaupt noch zu sagen bleibt, läßt sich wie auf einer aufgeschlagenen Karte demonstrieren.«
    Alle hatten sich erhoben und waren in den Erker eingetreten. Othegraven zeigte nach links hin. »Herr General wollen das dritte Haus am Platz bemerken, das größte, scharf an der Kirche vorbei.«
    »Ich sehe; das mit den verschnittenen Linden, und das Schilderhaus davor. Es sieht aus wie ein Gasthof.«
    »Sehr richtig. In diesem Gasthofe wohnen General Girard und sein Stab. Auch drei oder vier Ordonnanzen. In demselben Augenblick, in dem der erste Schuß fällt, brechen wir, von der Kirche her, vor. Es sind keine zwanzig Schritt. Ehe der General noch den Schlaf abgeschüttelt hat, ist er gefangen. Stab und Ordonnanzen mit ihm.«
    »Und dann?«
    »Fünf Minuten später müssen auch die Mannschaften in unseren Händen sein, die hier in der Altstadt herum einzeln oder zu zweien und dreien in Bürgerquartier liegen. Wir kennen die Häuser und werden sie vorher umstellen. Für die prompte Durchführung dieser Dinge hoff ich mich verbürgen und Ihnen unmittelbar nach Ihrem Eintreffen auf diesem Platze Meldung von dem Vollzogenen machen zu können. Das ist der
erste
Akt.«
    »Und dann?« wiederholte Bamme seine Frage.
    »Und dann«, antwortete der Konrektor etwas spitz, »beginnt eben der zweite,
Ihr
Akt, Herr General. Denn unsere Bürgerschaften sind gewillt, sich Ihrem Kommando, von dem Augenblick Ihres Eintreffens an, in allen Punkten zu unterstellen. Der Ruf eines entschlossenen Mannes geht Ihnen voraus, und Entschlossenheit ist alles.«
    Bamme verbeugte sich. Er war nicht unempfindlich gegen solche Huldigungen, am wenigsten, wenn sie von Gesellschaftskreisen ausgingen, denen gegenüber er das Gefühl hatte, sich aus diesem oder jenem Grunde wiederherstellen zu müssen. Denn er wußte sehr wohl, was ihm fehlte.
    Othegraven fuhr fort: »Es wird sich in diesem zweiten Akte darum handeln, ob
wir
, will sagen, Ihre Landsturmmänner und unsere Bürgerschaften, in gemeinschaftlicher Aktion imstande sind, uns der zweitausend Mann Voltigeurs und Grenadiers zu erwehren, die samt ihren Regiments- und Bataillonschefs drüben in der Dammvorstadt liegen und unzweifelhaft von Beginn des Kampfes an eifrig bemüht sein werden, den Übergang in die Altstadt zu forcieren. Ein leichtes soll es ihnen nicht werden. Die Brücke opfern wir, und für Aufeisung des Stromes ist gesorgt. Unsere Kietzer Fischer haben es an gutem Willen nicht fehlen lassen; Tag und Nacht in den Kleidern; Seine Majestät der König soll davon erfahren. Nichtsdestoweniger, ohne besserem Urteil vorgreifen zu wollen, scheint mir der Ausgang dessen, was wir vorhaben, von dem Eintreffen oder Nichteintreffen der Russen abzuhängen. Halten sie Wort, so haben wir übermorgen früh eine französische Brigade gefangengenommen, fünfzig Kanonen erbeutet und, was die Hauptsache ist, der ganzen Provinz ein Zeichen, ein Beispiel gegeben. Lassen

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