Vor dem Sturm
Dorfes zuführten.
Fünfzehntes Kapitel
Die Rekognoszierungsfahrt
Um eben diese Zeit trabten die Ponies über Hohen-Ziesar auf Frankfurt zu.
Hohen-Ziesar lag ein beträchtliches abseits der Straße; Berndt aber hatte den halbstündigen Umweg nicht gescheut, um – was am Tage vorher versäumt worden war – Drosselstein zur Teilnahme an ihrer Frankfurter Rekognoszierungsfahrt aufzufordern. Freilich eine vergebliche Mühe, da der Graf, wie man erfuhr, Hohen-Ziesar schon in früher Stunde verlassen hatte. Und zwar sehr wahrscheinlich, um jenseits der Oder einen zweiten Besuch im russischen Hauptquartier zu machen. Sicheres verlautete nicht; nur die Tatsache seiner Nichtanwesenheit blieb und wurde von Berndt und Bamme mit ziemlich gleicher Befriedigung aufgenommen, da beide au fond du coeur wenig Lust hatten, sich in Sachen, die sie besser verstanden, von bloß »höheren Gesichtspunkten« aus, dreinreden zu lassen.
Und so ging es, unter Empfehlungen an den Grafen, weiter in die klare Winterlandschaft hinein. Die Ponies schienen das Versäumnis einholen zu wollen und ließen in ihrem Eifer erst nach, als sie dicht vor Podelzig wieder an die große Straße kamen. Im Dorfe selbst erfuhren unsere Freunde, daß vor kaum einer halben Stunde die vordersten Staffeln der am Tage vorher heranbeorderten Bataillone eingetroffen seien, und gleich darauf wurden sie verschiedener Gruppen von Landsturmmännern gewahr, die, von alt und jung umstanden, allerhand Fragen stellten und beantworteten. Einen Augenblick erwog Berndt, ob er absteigen und zu den Leuten sprechen solle; er unterließ es aber, um nicht abermals die wenigen noch bleibenden Tagesstunden gekürzt zu sehen.
Das nächste Dorf war Clessin. Auch hier ließen sich Unruhe und Erregung – der Aufruf war eben verlesen worden – deutlich erkennen, und nur in Cliestow, in dem eben zu Mittag geläutet wurde, war alles still. Hier saßen die Sperlinge zu Hunderten auf dem Fahrdamm, unschlüssig, ob sie auffliegen sollten oder nicht, und nichts als der sonnenbeschienene Rauch, der hell und gradlinig aus den Essen stieg, deutete auf Leben.
Und nun lag auch Cliestow zurück. Der Weg stieg in leiser Schrägung an, und eine reizende Szenerie begann sich mehr und mehr dem Auge darzustellen.
Über das weit nach rechts hin gebreitete Plateau waren zahlreiche Gehöfte ausgestreut, während nach links hin das ganz in der Tiefe liegende, nur von Kropfweiden eingefaßte Odertal sich schlängelte. Und in eben dieser Tiefe, keine halbe Stunde mehr von unseren Reisenden entfernt, stieg jetzt auch das Ziel ihrer Fahrt, die Stadt selber, herauf, deutlich erkennbar an dem gekupferten Hut der Oberkirche und den vielen goldenen Kugeln, die wie Butterblumenknospen das grüne Spitzdach umstanden.
»Ich zähle sieben Kirchen«, sagte Bamme, der aus einer Art Eigensinn nie zuvor in Frankfurt gewesen war. »Es scheint eine große Stadt, größer, als ich dachte.«
»Der eigentliche Kern ist klein«, antwortete Berndt. »Aber die Vorstädte strecken sich weit hinaus. Sehen Sie drüben die Dammvorstadt, fast eine Stadt für sich. Und dahinter Kunersdorf, blutigen Schlachten-Angedenkens. Hier auf unserer Seite des Flusses sind wir friedlicher. Die lange Häuserlinie dort unten ist die
Lebuser
Vorstadt; aber ich will Sie nicht vor der Zeit mit solchen Einzelheiten behelligen. Vom Spitzkrug aus haben wir das alles viel deutlicher und sehen den Sottmeiers in die Schornsteine hinein.«
»Den Sottmeiers?« fragte Bamme.
»Ja, hier dürfen wir sie noch so nennen.«
»Was ist es damit?«
»Eine von den Neckereien und Fehden, wie sie zwischen ›Altstadt‹ und ›Neustadt‹ überall zu Hause sind. Ob es paßt, ist gleichgiltig, wenn es nur reizt und böses Blut macht. Und das tut es. Ein altes Weib, nicht viel besser als eine Hexe, steckte vor hundert Jahren die ganze Vorstadt hier unten in Brand. Sie hieß Witwe Sottmeier und wurde mit sechs oder sieben ihrer Komplizen auf den Scheiterhaufen gestellt. Feuer für Feuer; das war damals noch die Regel. Seitdem werden alle Kietzer nach dem übelberufenen alten Weibe genannt und heißen ›Sottmeiers‹. Eine sonderbare Logik, erst den Schaden und dann den Schimpf. Aber ob logisch oder nicht, es gefällt den Altstädtern, und so bleibt's beim alten.«
Unter diesen Gesprächen waren sie bis an ein weißgetünchtes Wirtshaus mit hohem Strohdach gekommen, das, an der Spitze dreier hier zusammentreffender Straßen gelegen, den Namen »Spitzkrug«
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