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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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uns umgekehrt die Russen im Stich, so können wir uns gegen zweitausend Mann nicht auf die Dauer halten. Denn es sind ausgeruhte Soldaten, Reserven, die nicht mit in Rußland waren. Ich bedaure noch einmal das Nichtzugegensein des Herrn Grafen, getröste mich indessen, daß er uns nur fehlt, um sich durch einen zweiten Besuch im Hauptquartiere Tschernitscheffs der russischen Mitwirkung abermals zu versichern.«
    »Sehr gut, Othegraven«, sagte Bamme. »Das nenn ich den geborenen Generalquartiermeister, Schule Prinz Eugen oder doch wenigstens Montecuculi. Nicht wahr, Hirschfeldt? Und alles knapp und kurz. Also bestens akzeptiert. Es fehlt nur noch eine Kleinigkeit: die Ausführung. Aber Tschernitscheff oder nicht, es muß glücken; zum mindesten dürfen wir keinen andern Gedanken mehr aufkommen lassen. Wir haben A gesagt und müssen B sagen. Alles Kriegsspiel ist Würfelspiel. Und wir knöcheln für eine gute Sache. Alea jacta est. Ich habe mein Latein wieder und meine gute Laune.«
    Dabei waren sie vom Fenster an den Tisch zurückgetreten und nahmen wieder Platz. Aber keiner war in der Stimmung, das Frühstück fortzusetzen. Turgany traf es deshalb, als er sagte: »Brechen wir auf, werte Herren und Freunde. Mein Programm lautet: erst Inspizierung des diesseitigen Oderquai, dann Brückenpassage, Dammvorstadt, Herzog-Leopold-Denkmal und französischer Geschützpark. Soweit gediehen, betracht ich unsere fußgängerischen Aufgaben als gelöst und stelle meinen Wagen für alles Weitere zur Verfügung. Er wird uns am Geschützpark oder doch in der Nähe desselben erwarten. Dann Repassierung der Brücke, Kleist-Denkmal und Rückkehr in meine Wohnung oder aber in die Lebuser Vorstadt, wohin Sie, wenn ich recht gehört, Ihren eigenen Wagen dirigiert haben.«
    Und damit brachen alle auf, um ihre Rekognoszierung zu Fuß zu beginnen.
    Von Turganys Wohnung bis an den Fluß waren kaum hundert Schritt. Eine sonntägliche Stille herrschte den Quai entlang, der in großen Abständen mit uralten Pappelweiden besetzt war. Eingefroren im Eise lagen Oderkähne und größere Kielboote, die nach Stettin hin gehörten und hier vor der Zeit vom Winter überrascht worden waren. Nach rechts hin lief die Brücke über den Fluß, zwanzig Joche oder mehr, zwischen denen unsere Freunde des großen, zum Brückenschutz errichteten Eisbrechers ansichtig wurden. Alle Arbeit ruhte; die Glocken der Oberkirche gingen, und einzelne geputzte Frauen, die zur Nachmittagspredigt wollten, eilten an ihnen vorüber.
    Bamme musterte den Quai und die Pappelweiden bis rechts an die Brückenjoche hinauf und sagte dann zu Berndt: »Voilà, Vitzewitz, unser mutmaßliches champ de bataille.« Dieser nickte zustimmend in guter, beinahe heiterer Laune. Denn er war viel ruhiger als der Alte, weil er das, was sie vorhatten, nicht als Abenteuer, sondern als Pflicht und Aufgabe nahm.
    So kamen sie bis an die Brücke und gingen in die Dammvorstadt hinüber. Die Welt hier schien nur noch aus Franzosen zu bestehen; einige, als ob draußen die Junisonne schiene, balancierten auf den Querhölzern der offenstehenden Fenster, während sich andere mit Bockspringen vergnügten oder sich auf Flur und Diele mit Kindern und jungen Mädchen unterhielten. So namentlich auch vor dem großen Gasthofe »Zum goldenen Löwen«, hart an der Brücke, der in eine Kaserne umgewandelt war. An der Ecke dieses Gasthofes vorbei bogen jetzt unsere Freunde nach links hin ein und wandten sich dem großen Herzog-Leopold-Denkmale zu, das sie schon vorher, als sie von Turganys Wohnung aus auf den Fluß zugeschritten waren, in aller Deutlichkeit gesehen hatten. Es lag jener Stelle gerade gegenüber; nur der breite Fluß dazwischen.
    Nun standen sie vor diesem Denkmal, zu dessen beiden Seiten – und zwar zwischen dem hochaufgestapelten Klafter- und Bretterholz eines hier befindlichen Holzhofes – vierzig bronzene Geschütze zusammengefahren waren. Der Anblick, der sich ihnen bot, weckte sehr verschiedene Gedanken. Othegraven sah mißtrauisch auf die Bretter und Bohlen und sann nach, wie sie wegzuschaffen wären, während Berndt und Bamme mit Befriedigung wahrnahmen, daß die Munitionskarren fehlten. So war man wenigstens vor einem Mitspielen der Artillerie gesichert.
    Grell hatte sich inzwischen mit seinem Interesse dem Denkmale selber zugewandt. Drei Frauengestalten trugen eine sternenbekränzte Urne, am Sockel des Ganzen aber standen folgende Worte: »Menschenliebe, Standhaftigkeit, Bescheidenheit –

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