Vor dem Sturm
ein paar eingekratzte Herzen in der Wand und vier, fünf Namen darunter. Französische Namen. Also Neues, nichts Altes, nichts aus den Katte-Tagen her, und Lewin war so trostbedürftig, daß er in diesem geringfügigen Umstand einen Trost für seine bedrückte Seele fand.
Eine Stunde mochte vergangen sein, als er wieder Tritte draußen hörte und gleich darauf den Alten eintreten sah, der inzwischen den Namen seines Gefangenen erfahren hatte und nun kam, um sich nach den Wünschen des »Junkers« zu erkundigen. Der General, so verschwor er sich, habe alles erlaubt, und was er
nicht
erlaubt habe, darüber würden zwei Landsleute doch miteinander reden können. »Nicht wahr, Junkerchen? Und dann, Junkerchen, es wird nichts so heiß gegessen, wie es vom Feuer kommt. Und der letzte Trost ist immer: ›
Einen
Tod kann der Mensch bloß sterben.‹«
»Ja«, sagte Lewin, »aber wann?«
»Ei, noch lange nicht. Ihr Sand, Junkerchen, ist noch nicht durchgelaufen. Bei Ihnen hat die Predigt erst angefangen. Und der Sand muß durch, eher ist es mit keinem nich vorbei.«
Lewin dankte dem Alten für seinen Zuspruch und bat ihn um ein Nachtessen, was es sei, am liebsten eine Suppe. Aber nicht vor sieben Uhr. Wenn er ein Buch habe, so solle er es ihm schicken; er wolle sich ans Fenster setzen, solang es noch Tag sei, und sich die Zeit mit Lesen vertreiben.
Der Alte versprach alles, und nicht lange – die kleine Schloßturmuhr schlug eben vier –, so wurden draußen Stimmen laut, und ein Klappen wie von Holzpantinen ließ sich auf den Treppenstufen vernehmen. Gleich darauf öffnete sich auch wieder die kleine Tür, und ein breitschulteriger, allem Anscheine nach auch riesengroßer Chasseur à pied – der, vornübergebückt, sich abmühte, ein breit zusammengeschnürtes Bündel durch die zu schmale Türöffnung hereinzuziehen – wurde von hinten her sichtbar. Ein altes Weib, mit vielem Kupfer im Gesicht, stand noch auf den Stufen draußen und schob nach. Endlich war das Bündel durch, und der Chasseur machte jetzt Front und begrüßte den Gefangenen mit einem halb gutgelaunten, halb spöttischen: »Bon jour, camarade«, in gleichem Tone hinzusetzend: »Voici votre équipage!«
Lewin erwiderte den Gruß und musterte den jetzt aufrecht vor ihm stehenden Chasseur, der in seiner ganzen Haltung und Ausstaffierung als ein vollkommener Typus südfranzösischer Nonchalance gelten konnte. Sein Collet stand offen, während seine beiden Füße in großen, mit Stroh gefütterten Holzschuhen steckten; offenbar ein gutmütiger, renommistischer Gascogner, der, um anderweitig dienstfrei zu werden, den Kalfakterdienst im Schloß übernommen hatte.
»Madame de Cognac«, wandte er sich jetzt an die noch immer auf der Treppe stehende Alte, »s'il vous plaît! Komme Sie herein, Madame, und knüppre Sie auf.« Lewin lächelte. »Oui, monsieur; knüppre Sie auf; c'est tout-à-fait allemand. Oh, ich gelernt habe gut Deutsch. Moi. N'est-ce pas, Madame?«
Diese nickte.
»Vous voyez, Monsieur, notre marquise de Chaudeau a consenti.«
Während dieses Gespräches war denn auch wirklich das Bündel aufgeknotet worden, und der Chasseur und seine Begleiterin mühten sich jetzt gemeinschaftlich ab, ein Lager für den Gefangenen herzustellen. Und nun waren sie fertig damit: ein Strohsack, ein Seegraspfühl und ein verschossener Mantel mit Otterfellkragen, den der alte Kastellan, da Betten oder Decken im ganzen Schloß nicht mehr aufzutreiben gewesen waren, aus seinem eigenen Kleiderschranke hergegeben hatte. In dem großen Bündel hatten sich übrigens auch noch drei Bücher befunden, die jetzt von seiten des Chasseurs unter affektiert respektvollen Verbeugungen und »avec les compliments de monsieur le Châtelain« an Lewin überreicht wurden. »Et à sept heures le souper.« Darnach klappten wieder die Pantinen auf der Treppe draußen, und das Kauderwelsch mit der Alten setzte sich fort, bis es in dem Winde, der über Bastion Brandenburg hinstrich, verklungen war.
Lewin rückte den Stuhl ans Fenster, um in die drei Bücher hineinzusehen, die der Kastellan ihm geschickt hatte. Zwei, schwarz gebunden mit zitronengelbem Schnitt, waren, was sich erwarten ließ, Bibel und Gesangbuch. Aber das dritte! Es war nur ein Büchelchen, zwei Pappdeckel, mit marmoriertem Papier, an den Ecken abgestoßen. Und nun las er: »Bericht des Majors von Schack über des Lieutenants von Katte Dekapitation, 6. November 1730.« Das hatte der Alte schlecht getroffen. Es überlief
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