Vor dem Sturm
seiner eignen Wunde wenig achtend, den größten Teil des Tages zugebracht hatte.
Er setzte sich auch jetzt wieder an ihr Bett und horchte und fragte; ihr aber, als sie diese vom herzlichsten Mitgefühl eingegebenen Fragen hörte, kam der stille Vorwurf zurück, in allen voraufgegangenen Stunden immer nur an Lewin und nicht ein einziges Mal an ihn gedacht zu haben, an ihn, der jetzt so liebreich zu ihr sprach und vom ersten Tage an nur Güte und Nachsicht für sie gehabt hatte. Sie klagte sich ihrer Selbstsucht an und vergoß bittere Tränen. Er aber wollte davon nichts wissen und wiederholte nur ein Mal über das andere: »Laß, Kind; das ist die Jugend.« Und dann beruhigte sie sich und ließ sich wieder erzählen. Ach, wie schlug ihr das Herz höher, als sie von Turganys Brief hörte: Othegraven war tot, aber Lewin
lebte
. Und das bedeutete alles! Dieselbe Selbstsucht, deren sie sich eben noch bezichtigt hatte, war wieder da. Und sie wußte es kaum.
Ihre Stirn wurde gekühlt; der Blutverlust aus der Wunde galt für ein gutes Zeichen, und ihr Befinden war nicht schlecht. Sie lächelte vor sich hin, wenn Bammes und Rutzes und ihrer Haltung während des Straßenkampfes Erwähnung geschah. Erst gegen Abend stellte sich Fieber ein, und sie begann nun leise vor sich hin zu sprechen: »Wenn nur Othegraven da wäre... der würde helfen... mir zuliebe.« Und dann nannte sie des alten Füllgraf Namen und dann den des alten Küstrinschen Kastellans, der ein Vetter von den Kümmritzens war und den sie nun in ihren Phantasien inständigst bat, den »jungen Herrn« in seinem Schlosse verstecken zu wollen, »mitten im großen Saal, da würd ihn niemand suchen«.
So vergingen die Stunden, und die Bilder drehten sich im Kreise. Aber eine Stunde nach Mitternacht ließ das Fieber nach, und sie schlief ein.
Einundzwanzigstes Kapitel
»Dat möten wi«
Es war noch nicht sieben am andern Morgen, als Hoppenmarieken in ihrem gewöhnlichen Aufzuge die Dorfgasse heraufkam. In Front des Herrenhauses bog sie nach rechts hin ein und musterte die lange dunkele Fensterreihe. Nur in den zwei Eckfenstern des ersten Stockes war Licht. »He is all bi Weg«, sagte sie und schritt auf die Glastür des Hauses zu.
Und sie hatte recht gesehen. Berndt war schon seit einer Stunde auf und saß oben in seiner Amts- und Gerichtsstube. Mit ihm Bamme, der, nach einem ersten Versuche, sich wieder in Nähe des stark überheizten und beinahe glühenden Ofens zu placieren, schließlich seinen Rückzug auf das Fenster hin hatte nehmen müssen. Von diesem aus sah er jetzt Hoppenmarieken über den Hof kommen. Er war in einem Kostüm, das, kaum minder auffällig als das der alten Forstackerhexe, selbst Berndt einen Augenblick in Erstaunen gesetzt hatte: enger schwarzer Schlafrock von Sammetmanchester, roter Wollshawl und gelbe Filzschuhe. Dazu die kurze Morgenpfeife.
Und nun klopfte es.
»Herein!«
Die Alte trat ein, blieb aber – mit ihrer Kiepe sich an die Türpfosten lehnend – in respektvoller Entfernung von ihrem »gnädigen Herrn« stehen, mehr aus Gewohnheit als aus Furcht, da sie wohl gemerkt hatte, daß man ihrer bedürfe.
»Dag, gnäd'ger Herr«, sagte sie mit ihrer tiefen und rauhen Stimme und nickte, als Berndt ihren Gruß erwidert hatte, mit derselben Vertraulichkeit auch nach der Fensterecke hinüber. »Dag, Genral.«
»Kennst du mich denn?« fragte dieser und blies behaglich ein paar Wölkchen aus seinem Meerschaum.
»I, wat wihr ick denn uns'n lütten Genral nich kennen? Ick wihr jo mit bi de Revü buten un hebb allens siehn: Rutzen un sine Piken un den dicken Protzhagenschen mit sine Füertut. Jott, wie seeg de ut! Un denn Drosselstein'n sine rote Voßstut mit de lange Been. Ne, Genralken, dat wöhr nix för Se.«
»Da hast du recht, Hoppenmarieken. Ich seh, du hast einen guten Blick, und das nächste Mal werd ich dich fragen.«
Sie lachte.
»Dat dohn Se man, Genralken. De Dummen, so as wi ick, de sinn ümmer de Klöksten.«
Berndt sah, daß er das Gespräch unterbrechen müsse, denn solche Vertraulichkeiten waren gerade das letzte, was er brauchen konnte. »Stell deine Kiepe hin, Marieken, und tritt hier an diesen Tisch. Hierher, daß ich dich besser sehen kann.«
Sie verlor einen Augenblick ihre sichere Haltung, brummte allerhand unverständliches Zeug und tat dann, wie ihr geheißen.
»Du weißt, Hoppenmarieken –«
»lck weet.«
»Und du weißt auch, daß sie kurzen Prozeß machen. Der Konrektor ist erschossen auf dem
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