Vor dem Sturm
Zeit.
Noch war kein Wort gesprochen worden. Berndt, den das Schweigen bedrückte, wandte sich an den ihm gegenüber sitzenden Kniehase, dessen noch verbundener Kopf in einer Pelzkappe steckte, und sagte:
»Alles in Ordnung, Kniehase?«
»Ja, gnäd'ger Herr.«
»Strick, Scheite, Bretter?«
»Alles da. Hab es Pachalyn in die Hand gezählt. Und auch die kleine Leiter und zwei Bund Stroh.«
»Und Kümmritz?«
»Ist um neun Uhr abgerückt auf die Manschnower Mühle zu.«
»Und Krull und Reetzke?«
»Stehen drüben zwischen Entenfang und Pulvermühlen.«
»Gut. Und nun komme, was soll.«
Einen Augenblick schwieg er, und seine Lippen sprachen nur leise vor sich hin. Dann aber, alle Sorge hinter sich werfend, sagte er: »Und nun schärfer zu, Krist, oder wir verpassen's. Sieh, Tubal, alles grau; der Himmel ist mit uns, indem er sich uns verbirgt.«
Während sie so sprachen, hatten sie sich der Festung bis auf fünfhundert Schritt genähert, und in dem Dunkel, das herrschte, stieg ein noch dunklerer Schatten auf: Bastion Brandenburg. Daß ihr Herankommen von dem einen oder andern Wachtposten bemerkt worden wäre, war wenig glaubhaft, denn ihre niedrigen Fuhrwerke fuhren nicht nur im Schutze einer mannshohen, zu beiden Seiten des Weges aufgeschaufelten Schneemauer, sondern auch im Schatten der von zehn Schritt zu zehn Schritt stehenden Kusselpyramiden. Und im Schatten einer solchen hielten jetzt die Schlitten.
Die kleine Turmuhr, von der Schloßkirche her, schlug halb. Das traf zu; so war es berechnet. Berndt war der erste aus dem Schlitten heraus und schlich sich jetzt über das Eis hin bis an die Festungswerke vor, gerade bis unter den »Weißkopf«. Als er heran war, sah er, daß am Fuße des Bastions alles tief verschneit war; der Westwind hatte hier ganze Schneeberge zusammengetrieben. Aber so hoch der Schnee lag, so war er doch zu locker und hatte nicht Tiefe genug. Es mußte also nachgeholfen werden. Dazu sollten die mitgenommenen Bretter dienen, mit deren Hilfe man eine der zehn Schritt breiten und halb festgewordenen Schneemauern bis hart an das Bastion vorzuschieben gedachte. Sie traten deshalb an den einspännigen Schlitten heran, den Bamme kurzweg, und vielleicht auch vorahnend, als »Sargschlitten« bezeichnet hatte, und wollten eben die zum Schieben bestimmten Bretter hervorziehen, als sich's in dem darübergepackten Stroh zu regen und zu schütteln begann. Und siehe da, gleich darauf stand Hektor – wohl wissend, daß er viel gewagt habe – verlegen wedelnd an der Seite seines Herrn, verlegen, aber doch auch mit einem Ausdruck von Stolz und Freude, und seine klugen Augen schienen zu sagen: »Hier bin ich; ich, Hektor, Freund meines Freundes Lewin. Ich weiß, daß es Ernst wird, und weil ich es weiß, will ich mit dabeisein.«
Der sich zuerst faßte, war Berndt; er bückte sich nur, um dem Schuldigen mit dem Zeigefinger zu drohen. Als er sich dann wieder aufrichtete, richtete sich auch der Hund auf und legte seine Vorderpfoten auf seines Herrn Schulter; so standen sie und sahen einander an.
»Pst, Hektor«, flüsterte Berndt und klopfte und streichelte das treue Tier. Dieser aber, als er sich so zu Gnaden angenommen sah, fuhr in leidenschaftlicher Erregung in seines Herrn Bart und Haar umher und nickte und wedelte nur immer wieder, um zu zeigen, daß er alles wohl verstanden habe. Dann endlich ließ er ab von ihm.
Die Bretter waren inzwischen hervorgezogen worden und wurden nun von der einen Seite her eingestemmt. Aber es wollte mit dem Schieben nicht glücken. Das am Tage durchgesickerte Schneewasser war unten mit der Flußdecke zusammengefroren, und so mußten denn die Spaten herbeigeholt werden, um durch Abstechen das Eis wieder zu lösen. Und nun endlich war es geschehen, und die Masse setzte sich in Bewegung, erst langsam, dann immer rascher, bis sie zuletzt den weichen Schnee beiseite drängte und am Fuße des Bastions feststand. Was der Westwind höher hinauf an die Schrägwand geweht hatte, das fiel jetzt herab, ein weiches Polster über der Schneemauer bildend. Und nun kletterte der junge Schwarwenka, der der Flinkste und Geschickteste war, hinauf und zog die Strickleine rasch nach sich, während sich die vier anderen zu beiden Seiten der Mauer niederkauerten. Krist hielt Hektor am Halsband; Pachaly war bei den Schlitten geblieben.
Alle sahen erwartungsvoll nach der Uhr. Noch fünf Minuten. In jedem Augenblick konnt es oben auf dem Schloß zum Schlagen einsetzen.
Und jetzt schlug es
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