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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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anging, trat sein geistiger Verfall jeden
    Tag mehr hervor und raubte ihm die Verantwortlichkeit für
    sein Tun und Lassen.
    Was nun kommen mußte, kam. Unter zunehmender
    Reizbarkeit schliefen die Gefühle der Vaterlandsliebe, des
    heiligsten inneren Kerns des Menschen – der früher und
    mehr als sich selbst, seinem Vaterland gehört – in der Seele
    des Erfinders ein. Er dachte an andere Völker, überschritt
    die Grenze und bot den Fulgurator Roch dem Deutschen
    Reich an.
    — 14 —
    Nach dem Bekanntwerden der unmäßigen Forderun-
    gen Thomas Rochs lehnte es die Reichsregierung aber ab,
    sich mit ihm einzulassen. Übrigens war man hier schon mit
    der Prüfung einer neuen ballistischen Maschine beschäftigt
    und glaubte von der des französischen Erfinders absehen
    zu können.
    Jetzt verdoppelte sich sein Ingrimm durch den Haß – ei-
    nen instinktiven Haß gegen die Menschheit – insbesondere
    als auch seine Schritte beim Admiralitätsrat Großbritanni-
    ens völlig gescheitert waren. Die Engländer, als besonders
    praktische Leute, wiesen Thomas Roch freilich nicht von
    Anfang an ab, sondern suchten durch List etwas aus ihm
    herauszulocken. Thomas Roch ließ sich jedoch auf nichts
    ein. Sein Geheimnis war Millionen wert, und entweder er-
    hielt er die oder das Geheimnis blieb unenthüllt. So zog sich
    schließlich auch die Admiralität von ihm zurück.
    Unter diesen Verhältnissen und als sich sein Geistes-
    zustand schon Tag für Tag verschlimmerte, unternahm er
    einen letzten Versuch bei Amerika . . . etwa 18 Monate vor
    dem Anfang unserer Erzählung.
    Noch praktischer als die Engländer, feilschten die Ame-
    rikaner gar nicht um den Fulgurator Roch, dem sie bei dem
    Ruf des französischen Chemikers einen außerordentlichen
    Wert beimaßen. Mit Recht hielten sie den Mann für ein Ge-
    nie und trafen Maßnahmen, die durch seinen geistigen Zu-
    stand geboten erschienen, mit dem Vorbehalt, ihn später in
    entsprechendem Maß zu entschädigen.
    Da Thomas Roch nämlich zu offenbare Beweise von
    — 15 —
    Wahnsinn gab, hielt es die Regierung, schon im Interesse
    seiner Erfindung selbst, für geraten, ihn zu internieren.
    Thomas Roch wurde, wie wir wissen, nicht in eine eigent-
    liche Irrenanstalt gebracht. Die Anstalt Healthful House bot
    jede Sicherheit für die Behandlung des Kranken; doch ob-
    gleich ihm die aufmerksamste Pflege zuteil geworden war,
    war eine Heilung bisher nicht erzielt worden.
    Wir betonen hier, da es wichtig genug erscheint, noch-
    mals, daß Thomas Roch trotz seiner gewöhnlichen Geistes-
    abwesenheit sofort ein ganz anderer wurde, wenn man ir-
    gendwie das Gebiet seiner Entdeckungen berührte. Dann
    lebte er gleichsam auf, sprach mit der Bestimmtheit eines
    Mannes, der seiner sicher ist, mit einer Überzeugung, die
    tiefen Eindruck machte. Im Feuer der Beredsamkeit schil-
    derte er die wunderbaren Eigenschaften seines Fulgurators,
    die in der Tat außerordentlichen Wirkungen, die er haben
    sollte. Über die Natur des Explosivstoffs und des Zünders,
    über die Grundstoffe beider, die Herstellungsweise und
    über die nötigen Handgriffe bei der Verwendung bewahrte
    er aber eine Zurückhaltung, aus der ihn niemand reißen
    konnte. Ein- oder zweimal, bei besonders starken Krisen,
    schien es, als ob ihm das Geheimnis seiner Erfindung ent-
    schlüpfen wollte und man traf daraufhin alle Vorsichtsmaß-
    nahmen . . . vergeblich, und wenn Thomas Roch auch den
    Trieb der Selbsterhaltung verloren hatte, so hatte er wenigs-
    tens den der Erhaltung seines Geheimnisses nicht einge-
    büßt.
    Der Pavillon Nr. 17 in Healthful House war von einem
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    mit lebenden Hecken umschlossenen Garten umgeben, in
    dem der Klient unter Begleitung seines Pflegers umherspa-
    zieren konnte. Dieser Pfleger bewohnte denselben Pavillon
    wie er, schlief in demselben Zimmer, beobachtete ihn Tag
    und Nacht und verließ ihn keine Stunde. Er erspähte bei ge-
    legentlichen Halluzinationen, die meist während des Über-
    gangs vom Wachen zum Schlafen auftraten, seine gerings-
    ten Worte und belauschte sogar seine Träume.
    Der Pfleger nannte sich Gaydon. Als er kurz nach der
    Einlieferung Thomas Rochs gehört hatte, daß man hier ei-
    nen Pfleger suchte, der die französische Sprache beherrsch-
    te, hatte er sich in Healthful House vorgestellt und war als
    Pfleger für den neuen Patienten der Anstalt angenommen
    worden.
    Der angebliche Gaydon war in Wahrheit ein französi-
    scher Ingenieur namens Simon Hart, der

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