Vor Jahr und Tag
dann jedenfalls nicht für uns«, entgegnete McPherson. »Was ich so gehört hab, war’s ’ne Privatsache. Für die örtlichen Cops war’s ein Raubmord, aber verdammt noch mal, ich kann mir nicht vorstellen, daß sich Rick mit runtergelassenen Hosen von irgendeinem Knilch mit ’ner billigen Zweiundzwanziger erwischen läßt.«
»So wurde er also umgebracht? Mit ’ner Zweiundzwanziger?«
»Laut Bericht schon. Zwei Schüsse mitten ins Herz. Ein paar Kids haben ihn gefunden, er lag in seinem Wagen hinter einem Gebüsch in der Nähe eines verlassenen Steinbruchs. Seine Brieftasche lag auf dem Sitz daneben. Leer. Bargeld und Kreditkarten waren weg.«
»Wie praktisch; so konnte man ihn gleich identifizieren.« Vinay kaute auf seiner Unterlippe. »Fast zu praktisch, würde ich sagen.«
»Yep, find’ ich auch. Das Ganze kommt mir auch ein bißchen komisch vor, aber wie gesagt, er hat nicht für uns gearbeitet, also hab ich keine Ahnung, was er gemacht hat. Er kann auch einfach nur Pech gehabt haben und von irgend so einem Scheißer erwischt worden sein.«
»Wie steht’s mit Ricks Waffe? Hat man sie gefunden?«
McPherson schüttelte den Kopf. Vinay hatte nichts anderes erwartet. Kein Krimineller würde eine so teure Waffe wie die von Rick Medina einfach liegenlassen. Und mit einer Seriennummer würden sie auch nicht weiterkommen, denn wie er Rick kannte, hatte der sicher dafür gesorgt, daß keine seiner Waffen bis zu ihm zurückverfolgt werden konnte.
»Wo ist John?« erkundigte sich McPherson leise.
»Hat ’nen Einsatz vor Ort.«
»Wirst du’s ihm sagen oder ihn dortlassen?« Jeder Einsatz, zu dem John Medina abgestellt wurde, war hochbrisant.
»Ich werd’s ihm sagen. Ich vertrau seinem Urteil.« Außerdem würde nur ein Dummkopf John die Nachricht vom Tod seines Vaters vorenthalten.
»Sag ihm, er soll mich anrufen«, meinte McPherson und erhob sich.
Vinay musterte seinen alten Freund forschend. »Jess? Weißt du was, das du mir noch nicht gesagt hast?«
»Nein, aber vielleicht John. Und wenn er sich hinter dem Killer von Rick hermacht, wer immer es auch gewesen sein mag, dann wär’s ’ne Ehre für mich, ihm dabei zu helfen.«
8
Karen schlief so tief, daß sie, als sie am nächsten Morgen aufwachte, kaum hochkam. Ihre Augen waren geschwollen und verklebt und ihr Kissen ganz feucht. Schwach erinnerte sie sich, in der Nacht aufgewacht zu sein und verzweifelt geweint zu haben.
Schließlich zwang sie sich, aus dem Bett zu steigen. Als sie sich streckte, konnte sie jeden müden Muskel in ihrem Leib spüren. Sie schob die Vorhänge zurück und starrte hinaus in den blendend hellen Tag; beinahe meinte sie, die Hitze an den Fensterscheiben pulsieren zu fühlen. Dem Himmel sei Dank für die gute Klimaanlage des Marriotts, dachte sie, während sie zur Dusche stolperte und sich unter den kühlen Wasserstrahl stellte, um auch die letzten Spinnweben aus ihrem Gehirn zu pusten.
Sie hatte sich gerade die Haare trockengeföhnt, als das Telefon klingelte. Den Bademantel fest um sich raffend, eilte sie ins Schlafzimmer. »Hallo?«
»Guten Morgen.« Diese tiefe, warme Honigstimme kannte sie. »Ich hoffe, ich hab Sie nicht aufgeweckt?«
»Guten Morgen, Detective. Nein, ich war schon wach. Ich komme gerade aus der Dusche.« Karen drehte sich um und warf einen Blick auf die Digitalanzeige des Radioweckers, der am Nachttisch festgeschraubt war. Sie blinzelte ungläubig, aber die roten Zahlen veränderten sich nicht: zehn Uhr dreiundzwanzig. »Ich kann nicht glauben, daß ich so lange geschlafen hab«, sprudelte sie überrascht hervor. »Ist es wirklich fast halb elf?«
Er lachte, und das klang so warm, daß sie innerlich dahinschmolz. »Ja, Ma’am. Sie waren gestern so müde, da dachte ich mir schon, daß Sie länger schlafen würden, also hab ich mit meinem Anruf gewartet. Ich muß Ihnen die Habseligkeiten Ihres Vaters übergeben, falls Sie heute dazu bereit sind. Falls nicht, kann es auch warten.«
Bis morgen, meinte er, aber für morgen hatte sie schon die Beerdigung angesetzt, und beides am selben Tag ging über ihre Kräfte. »Nein, ich komme vorbei, sobald ich gefrühstückt habe.«
»Falls ich zu einem Fall geholt werde, rufe ich Sie an, damit Sie nicht umsonst vorbeikommen.«
»Ist gut«, sagte sie. Nachdem sie aufgelegt hatte, nahm sie den Hörer nochmals zur Hand, um den Zimmerservice anzurufen und Frühstück zu bestellen. Sie versuchte dabei die eisige Furcht in ihrem Magen zu verdrängen, die sich
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