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Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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den Rest ihres Lebens lieben würde.
    Marc kochte noch immer, als er spätnachmittags sein Büro betrat. Er war hundemüde, verschwitzt und so wütend, daß er sein Kabäuschen hätte auseinandernehmen können.
    Karen war ihm davongelaufen.
    Er hatte erwartet, daß sie heute morgen ein wenig nervös sein würde, ein bißchen scheu vielleicht und verlegen. In dem Bewußtsein, daß ihm nur wenig Zeit blieb, hatte er das Verhältnis zwischen ihnen so rasch und weit vorangetrieben wie noch nie zuvor mit einer Frau. Es gab keinen Zentimeter ihres Körpers, den er nicht berührt oder geküßt hätte in dem Bemühen, sie an sich zu binden. Er hatte sie weiterschlafen lassen und war unter die Dusche gegangen, wollte sie dann später mit einem Kuß wecken, auf den Schoß nehmen und streicheln, sie ein wenig aufziehen, so daß ihre viel zu ernsten dunklen Augen zu funkeln begönnen - und sie dann noch mal lieben. Aber sie hatte gar nicht mehr geschlafen; sie war einfach weg gewesen, als er aus dem Bad kam.
    Sie mußte den ganzen Weg zum Hotel gerannt sein, nur so konnte er sich erklären, sie nicht erwischt zu haben. Und als er beim Hotel ankam, hatte sie sich bereits telefonisch abgemeldet, und er hatte nicht alle Ausgänge bewachen können. Sie entwischte ihm wieder, und ein Hotelpage erinnerte sich, ein Taxi zum Flughafen für sie gerufen zu haben.
    Er ließ sie am Flughafen ausrufen, aber sie nahm seinen Anruf nicht an. Mittlerweile war er so wütend, daß es ein Glück für sie war, daß er sie nicht in die Hände gekriegt hatte. Statt dessen rief er bei ihr zu Hause an und hinterließ eine Nachricht, die sich gewaschen hatte - nicht sehr helle von ihm, wo er doch versuchte, die nervöse kleine Stute zu beruhigen, aber ihre plötzliche Flucht hatte ihn einfach aus der Fassung gebracht.
    Mit einem Erleichterungsseufzer registrierte sein verschwitzter, erhitzter Körper die relativ kühle Luft in seinem kleinen Büro. Er schälte sich aus seinem Jackett und rollte die Schultern, um sein Hemd, das ihm am Rücken klebte, zu lösen, was eine Gänsehaut hervorrief. Er fuhr ungeduldig mit der Hand über sein kurzgeschorenes Haar und seinen Nacken. Herrgott, er haßte Kindermorde. Lieber arbeitete er an hundert anderen Fällen als an dem Mord an einem Kind. Der Anblick dieser hilflosen, zarten kleinen Körper traf ihn wie ein Magenschwinger.
    Er hatte einen fünfjährigen kleinen Jungen tot in der Pathologie liegen, angeblich von einem Treppensturz. Ein Unfall, wie seine Mutter versicherte. Aber die Beine des kleinen Jungen waren voller Brandwunden, die sie ihm als Mückenstiche verkaufen wollte, und überall hatte er gelbliche Blutergüsse. Gelbe Blutergüsse waren alte Blutergüsse, die langsam heilten. Er sei mit dem Fahrrad gestürzt, behauptete seine Mutter.
    Die Frau war völlig verängstigt gewesen. Reglos saß sie am Küchentisch, als ob sie fürchtete, sich zu bewegen. Einmal drehte sie den Kopf herum, als ihr Mann etwas sagte, und Marc glaubte, einen großen dunklen Fleck an ihrem Nacken gesehen zu haben, dicht unter dem Rand ihres Kragens. Er kannte die Zeichen: Die Bluse bis oben zugeknöpft, lange Ärmel selbst bei der größten Hitze und lange Hosen statt Shorts.
    Marc verschwendete mittlerweile keine Zeit mehr damit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum Frauen bei ihren Mißhandlern blieben oder auch wie es möglich war, eine Mutter dazu zu bringen zu schweigen, wenn ihr eigenes Kind ermordet worden war. Er war lange genug in seinem Beruf, um sich durch nichts mehr überraschen zu lassen. Was er jedoch wußte, war, daß er äußerst vorsichtig vorgehen mußte, da ihr Mann Anwalt war und sich jede kleinste Unterlassung, jedes fehlende i-Tüpfelchen zunutze machen würde. Überdies war er ein Strafverteidiger, was Marcs Wunsch, das Arschloch dranzukriegen, nur noch verstärkte.
    Der Gerichtsmediziner würde wahrscheinlich noch mehr Beweise für Mißhandlungen finden, wie zum Beispiel alte Knochenbrüche. Er würde feststellen, daß die Brandmale auf den Beinen des Jungen von Zigaretten stammten, und sein Bericht würde mit ziemlicher Sicherheit für eine Verhaftung ausreichen. Marc hoffte bloß, den Haftbefehl zu bekommen, bevor der Hundesohn in Panik geriet und seine Frau auch noch umbrachte, weil er wußte, daß sie gegen ihn aussagen konnte.
    Marc setzte sich und hörte seine Voice Mail ab, während er den Papierstoß durchsah, der sich während seiner Abwesenheit auf seinem Schreibtisch angesammelt hatte.

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