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Vor Jahr und Tag

Titel: Vor Jahr und Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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Sie hatte sich eingeredet, daß es nur seine Stimme war, diese herrliche, tiefe Samtstimme, die sie so in ihren Bann zog. Sie hatte sich eine ganze Menge eingeredet, aber die Wahrheit war, daß sie schon bei ihrer ersten Begegnung einen primitiven Drang verspürt hatte. Ob man’s nun Chemie nannte oder Biologie - ja, sogar Voodoo, wenn man wollte -, sie hatte sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen gefühlt, wie ein Nagel zu einem Magneten, und alles, was er danach unternommen hatte, hatte ihre Gefühle noch verstärkt.
    Wie konnte sie ihn auch nicht lieben? Er hatte ihr zu essen gegeben, sie mit seinem eigenen Leib beschirmt, sie gewärmt, so einfache, ja primitive Gesten, Dinge, die ein Höhlenmann für die Höhlenfrau seiner Wahl tun würde, wenn er zu ihr unter das Bärenfell schlüpfen wollte. Komisch, daß diese Dinge heute noch genauso wirkungsvoll waren wie vor Tausenden von Jahren.
    Sie konnte nicht sagen, in welchem Moment ihre Gefühle sich in etwas Tieferes, Ernsteres verwandelt hatten, doch beiseite schieben konnte sie sie auch nicht. Sie waren echt, sie waren heftig, sie waren erschreckend - und sehr, sehr schmerzhaft.
    Wenn er sich nur eine regnerische Nacht mit ein wenig heißem Sex hatte vertreiben wollen, dann hätte er nicht so verdammt zuvorkommend und galant sein sollen, dachte sie wütend, während ihr die Tränen in die Augen schossen. Und wenn er sie wirklich so sehr verabscheute, daß er absichtlich Gefühle in ihr geweckt hatte, damit sie hinterher um so mehr litt.
    Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Sie hatte keinerlei Erfahrung mit einer Situation wie dieser. Noch nie zuvor hatte sie einen Mann geliebt, hatte es nicht einmal ansatzweise zugelassen. Es war schon ironisch, daß sie sich gerade erst dazu entschlossen hatte, Männern in ihrem Leben eine größere Chance zu geben, und schon tauchte Marc auf, schlüpfte unter ihrem Radar hindurch und legte sie - buchstäblich - flach.
    Sie hätte bleiben und ihm gegenübertreten sollen. Das wäre das klügste gewesen und nicht zuletzt das würdevollere. Einfach offen über die Sache reden, wie zwei vernünftige Erwachsene, keine Spielchen, nur ein ehrliches Gespräch.
    Tja, jetzt war es zu spät, den würdevollen Erwachsenen zu spielen. Was sie jetzt noch tun konnte, war, sich zumindest bei ihm für ihr Verhalten zu entschuldigen und es ihm zu überlassen, sich über seines Gedanken zu machen.
    Der blinkende Anrufbeantworter trieb sie noch in den Wahnsinn. Fluchend, mit Tränen in den Augen, stapfte sie zu dem Apparat und drückte wütend auf den Wiedergabeknopf.
    Zunächst hatte jemand wieder aufgehängt, dann versuchte ein Werbefritze, ihr irgendwelche Waschmittel aufzuschwatzen, noch drei Aufhänger, dann eine Nachricht von Piper, die sagte: »Lieber Himmel, Karen, das tut mir so leid mit deinem Vater. Warum hast du mich nicht angerufen?« Die nächste Nachricht kam von einem Vertreter für Aluminium, dann noch ein Aufhänger und dann plötzlich eine tiefe, zornbebende Stimme. »Verflucht noch mal, Karen -« Er hielt inne, und als er weitersprach, klang es, als würde er die Zähne zusammenbeißen. »Was zum Teufel sollte das, einfach so davonzurennen? Du rufst mich sofort an, wenn du daheim bist, oder ich schwör dir -«
    Der Rest seiner Drohung entging ihr, weil er den Hörer aufgeknallt hatte. Die Knie wollten ihr wegsacken, und sie mußte sich an der Schreibtischkante festhalten, um nicht umzukippen. Da war keine Spur von Samt mehr in seiner Stimme; alles, was sie hören konnte, war stählerne Wut, eine Wut, die sie förmlich zurückzucken ließ. Wut hatte sie nicht erwartet. Groll vielleicht, aber sie hatte eher einen Anruf in dem Tenor »Ist mit dir alles in Ordnung? Weglaufen war überflüssig« erwartet. Sie hatte erwartet, daß er sich meldete, um zu sehen, ob es ihr gutging, nicht mehr, und angesichts der Tatsache, daß er die Sache so leichtnahm, würde sie sich dann noch mehr wie ein Feigling vorgekommen sein.
    Sie hatte ihn noch nie fluchen gehört - immer der perfekte Gentleman. Natürlich war sie nicht so naiv zu glauben, daß er nie fluchte; sie hatte ihn ja selbst gehört, obwohl er Französisch gesprochen hatte. Immerhin war er ein Cop, und unter seiner höflichen Fassade lag eine Härte, die sie unter normalen Umständen dazu veranlaßt hätte, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen. Ihr Vater war ebenfalls ein harter Mann gewesen. Aber sie hatte Marc gebraucht und sich nie im Leben sicherer gefühlt als in der Zeit, in

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