Vor Jahr und Tag
überhaupt hergebracht hatte, war jedoch zu benommen gewesen, um zu protestieren. Im Moment war ihr so ziemlich alles egal. Sie konnte nicht mehr in ihre Wohnung; die Polizei hatte alles abgeriegelt, bis sie mit ihren Untersuchungen fertig war. Sie wollte überhaupt nicht mehr in ihre Wohnung zurück. Sie würde nie wieder dort schlafen können, nicht mal, nachdem man das Blut und die grauen Gehirnreste des Mannes von der Tür und vom Teppich entfernt hatte.
Man hatte darauf bestanden, sie ins Krankenhaus zu einer gründlicheren Untersuchung zu bringen, obwohl sie dem Notarzt gesagt hatte, daß sie Krankenschwester sei und ihren Zustand daher sehr wohl selbst beurteilen könne; nichts rechtfertigte eine Einlieferung ins Krankenhaus, und schon gar nicht in die Notaufnahme. Sie hatte ein Schwellung am Wangenknochen, ihre Knie waren vom Teppich aufgescheuert, und sie hatte eine kleine Schnittwunde am Fuß, die aber nicht mal genäht werden mußte. Außerdem taten ihr die Rippen ein bißchen weh, was wahrscheinlich von dem Gerangel mit dem Einbrecher kam. Keiner der Schüsse hatte sie getroffen, obwohl der letzte so dicht bei ihr einschlug, daß ihr ein wenig von dem herumfliegenden Putz in die Augen gekommen war, doch auch das war schnell wieder mit Wasser auszuwaschen gewesen.
Alles in allem war sie in recht guter Verfassung, wenn man bedachte, daß der Einbrecher sein Bestes versucht hatte, um sie umzubringen.
Es bestand kein Zweifel an seinen Absichten. Sobald er wußte, daß sie in der Wohnung war, war er nicht geflohen, was jeder normale Einbrecher getan hätte, sondern hatte sich mit gezückter Pistole über sie hergemacht.
Aber warum? Das hatten sich die Polizisten auch gefragt und sie selbst sich ebenfalls. Hauseinbrüche waren nichts Ungewöhnliches. Sie war eine alleinstehende Frau, ein sehr beliebtes Opfer also. Sie wohnte noch nicht lange in ihrem Apartment; vielleicht hatte der Mann ja geglaubt, jemand |
anderer lebte hier. Aber er war gar nicht an ihren Wertsachen interessiert gewesen. Er hatte die Wohnung sorgfältig durchsucht und danach alles wieder an seinen Platz gestellt. Und dann hatte er versucht, sie umzubringen.
Ein Unheil kommt selten allein, heißt es. Zuerst war Dexter erschossen worden. Dann war ihr altes Zuhause abgebrannt. Und jetzt das hier.
Sie zog die Decke fester um ihre Schultern und zitterte dennoch vor Kälte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß damit noch nicht alles vorbei war. Aber was konnte noch passieren?
»Mrs. Whitlaw?«
Einer von den Detectives stand draußen vor den zugezogenen Vorhängen ihres kleinen Abteils. In ihrer Wohnung hatte es nur so gewimmelt von Detectives, uniformierten Polizeibeamten und Sanitätern; und die Leute von der Dienstaufsicht waren natürlich auch dagewesen, denn jede Schießerei, in die Polizeibeamte verwickelt waren, wurde automatisch von der Dienstaufsichtsbehörde untersucht. Draußen vor dem Gebäude drängelten sich Reporter und Neugierige. Jede lokale Fernsehstation war vertreten gewesen.
»Ja, kommen Sie herein«, erwiderte sie.
Er teilte den Vorhang und trat ein. Er war mittleren Alters, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Wie konnte er schwitzen? Es war so kalt hier drinnen, die Klimaanlage mußte voll aufgedreht sein. Er setzte sich auf den einzigen vorhandenen Stuhl neben ihrem Bett, und Karen zog zitternd die Decke fester um sich.
Er betrachtete sie mit diesem kühlen, abschätzenden Blick, dem typischen Polizistenblick, der verriet, daß er sich so schnell nichts vormachen ließ, von niemandem. Marc hat denselben Blick, dachte sie und wünschte inbrünstig, daß er jetzt hier wäre. Nie hatte sie sich sicherer gefühlt, als wenn sie mit ihm zusammen war, und jetzt hätte sie diese Sicherheit bitter nötig gehabt.
»Detective Suter«, stellte er sich vor. »Fühlen Sie sich imstande, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
Man hatte noch in der Wohnung eine kurze Aussage von ihr aufgenommen, aber da über die Todesart des Mannes kein Zweifel bestand, war sie für die Beamten eine Zeugin, keine Verdächtige. Das Notarztteam hatte sie schleunigst ins Krankenhaus bringen wollen, so daß sie sie hatten gehen lassen, um sich den zunächst drängenderen Problemen zu widmen.
»Ja, sicher. Es geht mir gut«, erwiderte sie automatisch.
Er musterte sie prüfend, widersprach jedoch nicht. Dann schlug er einen kleinen Notizblock auf. »Also, in Ihrer letzten Aussage meinten Sie, Sie wären gerade im Schlafzimmer gewesen, als Sie
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