Vor meinen Augen
doch bitte helfen.«
Mum: »Es ist so schwer. Ich weiß, dass ihr helfen wollt. Ich bin nur so müde. Und so allein. Und so wütend.«
Mark: »Wir sind auch wütend.«
Katherine: »Sophie scheint völlig apathisch. Redet sie denn überhaupt mit dir? Ich kann es mir nicht vorstellen. Das arme Kind gibt sich solche Mühe, um … na ja, ich weiß gar nicht genau, was sie versucht. Es kommt mir vor, als wolle sie so tun, als sei nichts geschehen. Hast du denn mit ihr gesprochen? Ich kann mir nicht vorstellen, was dieses Erlebnis bei ihr ausgelöst hat, aber wenn sie alles für sich behält, wird es das Ganze nur noch verschlimmern.«
Mum: »Ich halte es einfach nicht aus. Ich kann ihr nicht helfen. Ich kann ja nicht einmal mir selbst helfen.«
Das Nächste konnte ich nicht hören, weil jemand die Espressomaschine angestellt hatte; sie surrte und übertönte einige Worte. Als dieses mechanische Surren sich in meinem Kopf ausbreitete, stellte ich mir unwillkürlich vor, wie die Maschine explodierte und im ganzen Raum Glassplitter herumflogen, wie der Kaffee verspritzt wurde, und wie Mum, Katherine und Mark davon getroffen wurden. Ich meinte, die Schreie zu hören und legte die Hände über meine Ohren. Mein Magen verkrampfte sich. Dann erschreckte Lucy mich beinahe zu Tode, indem sie meinen Ellbogen fasste und »Nicht!« hervorstieß.«
Ihre Wangen waren gerötet. Sie sah aus wie früher, als sie noch klein war. Einmal hatten wir einen Nachmittag damit verbracht, alles aufzuschreiben, was wir uns zu unserem zehnten Geburtstag wünschten, und es waren nicht nur materielle Dinge; es waren auch Sachen wie schöne Fingernägel, keine Atomwaffen mehr, einen Freund . Ich konnte mir jetzt gar nicht mehr vorstellen, so eng mit ihr befreundet gewesen zu sein. Sie war eine Fremde geworden, von der ich lediglich viel wusste. Wie Abigail. Wie all meine Freundinnen.
Ihr Griff wurde fester. »Nicht lauschen!«
»Ich habe das Recht dazu. Sie reden über mich. Warum glauben sie, dass ich nicht klarkomme?« Meine Stimme wurde lauter. »Mir geht es gut.«
Sie sah mich nachdenklich an. »Glaubst du wirklich, dass es dir gutgeht? Das kann doch gar nicht sein.«
»Was weißt du denn?«
Sie wurde rot und senkte den Blick. Als sie wieder hochsah, tat sie, als hätte dieser Wortwechsel gar nicht stattgefunden. »Sophie, komm doch mit. Komm, lass uns ein wenig Spaß haben. Kai ist einfach zu gut im Billard … du kannst mir gegen ihn helfen.«
Was ich Lucy eigentlich fragen wollte, war, ob sie Emily vermisste. Ob sie die Stunden vermisste, die wir früher als Kinder zusammen in ihrem Garten gespielt hatten. Und plötzlich fühlte ich mich richtig erwachsen. Und richtig, richtig traurig. Stumm folgte ich ihr nach unten.
Montag, 20. Februar
Die Schule war furchtbar. Auf dem Heimweg wurde ich völlig durchnässt. Mum war nicht zu Hause. Mit dem letzten Stück Brot machte ich mir ein Käsesandwich. Dann erledigte ich alle Hausaufgaben. Keiner rief an. Ich hatte es so satt, dass meine Gedanken dauernd im Kreis gingen, schließlich schrieb ich ein Prosagedicht. Das ist ein etwas freieres Gedicht, ohne richtige Verse, und ich glaube, es geht eigentlich darum, die Gedanken fließen zu lassen, um dadurch das Bewusstsein zu stärken, oder so. Morgen zeige ich es Rosa-Leigh. Vielleicht kann sie mir dabei helfen.
Brennen … Brandwunde, Verbrennung, also Feuer, Hitze, leckende glühendheiße Flammen, grell Orange wie bei Halloween; aber auch Brandflecken, verkohlte schwarze Erde; sobald der Waldbrand vorbei ist, bleibt das erdige Schwarz. Ich verharre nach innen gekehrt, die dunkelste Ecke des Waldes öffnet sich dem heißen, feuchten Licht. Ich bleibe ohne dich: Ein Glas, das für alle anderen halb voll ist, ist für mich halb leer.
Mittwoch, 22. Februar
Ich sollte heute in Englisch einen persönlichen Aufsatz abgeben. Das Thema konnte sich jeder selbst aussuchen. Aber ich habe ihn nicht gemacht. Jetzt muss ich morgen nachsitzen. Wenn ich noch einmal nachsitzen muss, wird man Mum in die Schule bestellen, um mein Verhalten zu besprechen. Ich habe nicht das Gefühl, überhaupt jemals wieder in die Schule gehen zu wollen. Es wäre mir egal, wenn sie mich von der Schule verweisen, aber dann müsste ich mit Mum klarkommen, und das wäre noch schlimmer. In der Pause gab ich Abi ihr Geburtstagsgeschenk, ein Top, das ich für sie gekauft hatte. Sie sagte: »Kannst du am übernächsten Wochenende früher als die anderen zu meiner
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