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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Kuipers
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sich vor.
    »Ich kann ihr das nicht antun.«
    Er senkte den Kopf und küsste mich noch einmal. Sein Mund war warm und seine Lippen weich. Ich konnte nicht anders, als ihn zurückzuküssen. Er strich mit der Hand über mein Rückgrat und weiter nach unten. Ich fuhr mit den Händen durch sein Haar und presste mich an ihn. Und dann, gerade, als er eine Hand unter mein Top schieben wollte, dachte ich an Abigail, an den Schock in ihrem Gesicht, wenn sie es wüsste. Ich machte einen Schritt zurück, meine Hand auf seinem Brustkorb, um mich zu stützen. Ich verbot mir, ihn anzusehen.
    Er sagte: »Sophie«, aber ich drehte mich von ihm weg, rannte nach unten und wäre dabei fast die Treppe hinuntergefallen.
    Ich setzte mich neben Rosa-Leigh, die mir ein Bier reichte. Sie unterhielt sich mit zwei Jungs. Und es war, als ob nichts geschehen wäre. Außer, dass mein Gesicht heiß war, und ich immer wieder nach oben sah, ob Dan runterkäme. Ich dachte daran, dass er da oben im Dunkeln wartete.
    Ich schäme mich, es zu sagen, aber nach ungefähr fünf Minuten nahm ich an, dass er wohl immer noch wartete, und beschloss, zu ihm zurückzugehen. Doch gerade als ich aufstand, sagte Rosa-Leigh, wir sollten nach Hause fahren. Es kam mir vor wie ein Zeichen oder so was, also folgte ich ihr hinaus und sah mich ein letztes Mal nach Dan um. Im Taxi redete ich nicht viel mit ihr, deswegen fragte sie mich wohl, ob alles in Ordnung sei.
    »Ich bin nur müde«, schwindelte ich.
    »Es tut mir wirklich leid, was ich über deine Mum und ihren Freund gesagt hab – es geht mich eigentlich nichts an.«
    »Daran habe ich gar nicht gedacht.« Und das stimmte. Ich dachte nicht an Mum oder Emily oder so was. Dann wünschte ich mir plötzlich, Emily säße mit mir im Taxi, und dass sie diejenige wäre, die mich fragte, ob mit mir alles okay sei. Ich würde ihr alles über Dan erzählen. Sie würde mir sagen, was ich tun soll. Ich musste von Rosa-Leigh wegsehen, damit sie nicht merkte, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Ich schluckte und drängte sie zurück.
    Mein Kopf DREHT SICH IMMER NOCH. Ich kann nicht glauben, dass ich den Jungen geküsst habe, mit dem meine beste Freundin zusammen ist, selbst wenn sie nicht mehr wirklich meine beste Freundin ist. Aber als ich ihn küsste, fühlte ich mich so gut. Ich konnte nur an ihn denken, wie er schmeckte und wie er mich berührte, und einen Augenblick lang vergaß ich wirklich alles andere. Das Schlimmste ist, dass ich ihn wieder küssen möchte.

9  Nichts schwimmt mehr darin

Samstag, 15. April
    Mum war nicht da. Katherine rief an und berichtete von Mark. Ihm geht es nach seinem Herzinfarkt immer besser, auch wenn er noch etwas schwach ist. Ich konnte mich kaum auf irgendetwas von dem konzentrieren, was sie erzählte, so dass sie zweimal nachfragte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Alles, woran ich denken konnte, war Dan und seine strahlend blauen Augen.
    Ich dachte so ziemlich den ganzen Tag an Dan. Rosa-Leigh schickte mir eine Mail mit einem Gedicht von E. E. Cummings, der keine Großbuchstaben und Satzzeichen mag. Ich weiß nicht so recht, was ich von jemandem halten soll, der keine Großbuchstaben benutzt. Echt. Ich bin da irgendwie komisch: Ich mag es, wenn Sätze ordentlich aussehen. Ich würde es nie jemandem in der Schule erzählen, nicht in einer Million Jahren, aber es stimmt. Jedenfalls habe ich das Gedicht gelesen, und ich schwöre , es ist über mich und Dan. Hier ist der Schluss davon:
    … doch
mehr noch als alles andere
bedarf ich (wenn bald ungeheuerlichkeiten sich
leise verflüchtigen) bald,
deines kusses
    Ich musste es mehr als einmal lesen. Es stimmt, das mit den Ungeheuerlichkeiten, die sich leise verflüchtigen. Als ich Dan küsste, war es seit ewigen Zeiten das erste Mal, dass ich nicht an Emily dachte. Und ich weiß, ich sollte deshalb ein schlechtes Gewissen haben, aber ich habe es nicht.

Sonntag, 16. April
    Ich stand auf, um zu frühstücken und bemerkte, dass Mum all diese Schokoladeneier auf den Tisch gelegt hatte. Außerdem hatte sie Rührei mit Speck gemacht. Sie lächelte mich an. Ich sah sie kaum an und machte mir eine Tasse Tee.
    Als ich mich setzte, sagte sie: »Frohe Ostern.«
    Ich antwortete nicht.
    Sie sagte: »Wir müssen reden, Sophie.«
    Ich konnte es nicht. Ich konnte nicht mit ihr reden. Wut stieg in mir auf, als sei ich ein Heißluftballon, der gleich platzte. Was stimmt nicht mit mir? Warum kann ich mich nicht hinsetzen und schön mit Mum zusammen

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