Vor meinen Augen
frühstücken? Ich stand auf und ging hinaus. Ich wollte nicht, dass sie sah, wie ich anfing zu weinen. Sie rief mir nach, aber ich schlug hinter mir die Tür zu meinem Zimmer zu und lehnte mich dagegen, damit sie nicht hereinkonnte. Sie versuchte, sie aufzuschieben und klopfte ein paarmal. Dann sagte sie: »Ich liebe dich. Das weißt du, nicht wahr?«
Ich antwortete nicht.
Sie sagte: »Was soll ich tun?«
Aber nicht ich bin es, die eine Antwort auf diese Frage wissen muss. Sie ist es. Aber sie weiß die Antwort nicht, weil sie ja noch nicht mal wieder arbeitet oder sonstwie ihr Leben auf die Reihe kriegt oder so. Ich griff nach meinem iPod, stöpselte mir die Kopfhörer ein und drehte die Lautstärke ganz hoch.
Dienstag, 18. April
Dan hat nicht angerufen. Und ich habe heute vergessen, zu Lynda zu gehen. Mir ist es erst eingefallen, als Rosa-Leigh und ich unterwegs zum Einkaufen waren, und ich dieses Gefühl nicht loswerden konnte, dass ich irgendetwas vergessen hätte. Ich kam zuerst einfach nicht darauf, was es war, und dann hatte ich plötzlich dieses komische Gefühl, als ob in meinem Bauch ein Schiff unterginge. Rosa-Leigh fragte mich, ob alles okay sei. Ich sagte ihr nicht, wo ich eigentlich gerade sein sollte, sondern wechselte einfach das Thema. Das war gar nicht so leicht, denn Dan spukte mir schon dauernd im Kopf herum und nun auch noch Lynda. Die muss sich gewundert haben, wo ich geblieben bin. Nicht, dass wir jemals groß über irgendetwas geredet hätten. Ich habe ihr gar nichts erzählt, rein gar nichts, weder von den Panikattacken noch von der Vergangenheit, aber wir halten diese Termine trotzdem aufrecht.
Ich würde gern von DAN hören. Ich weiß nicht, ob ich ihm eine Mail schicken oder ihn anrufen soll, oder ob ich darauf warten soll, dass er mich anruft oder was. Vielleicht bedeutete es ihm nichts, mich zu küssen, aber so wie er mich ansah, ICH SCHWÖRE, ICH KONNTE IN IHN HINEINSEHEN. Ich schwöre, mit diesem Blick sagte er mir, dass das mit Abigail ein Fehler war und er lieber mit mir zusammen sein wollte. Mit ihm zusammen zu sein wäre echt der Wahnsinn. Er ist so süß und nett und ein so guter Küsser. Ich kann gar nicht fassen, wie sehr ich ihn mag. Ich wünschte, er würde anrufen.
Mum summte heute. Ich hörte sie im Flur. Ich steckte den Kopf aus meinem Zimmer. Sie blieb stehen und sah mich schuldbewusst an, aber dann lächelte sie, müde und abgekämpft, und begann wieder zu summen. Ich lächelte zurück. Ganz kurz.
Mittwoch, 19. April
Mum kam gerade in mein Zimmer. Anscheinend hat Lynda angerufen, weil ich unseren Termin vergessen habe, und ich muss morgen zu ihr. Warum ist Lynda eigentlich nicht in den OsterFERIEN?
Mum fragte: »Warum bist du denn nicht hingegangen?«
Ich zuckte nur mit den Schultern.
Mum seufzte und sagte: »Sophie«, und ihre Stimme war sanft.
»Was?«
»Du musst mit mir reden.«
»Ich habe es einfach vergessen, okay? Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Was ist mit uns und wie wir miteinander klarkommen? Warum konntest du nicht mit mir zusammen beim Osterfrühstück sitzen? Wir müssen darüber reden.«
»Ich will nicht reden. Ich will nicht denken. Ich will mich nicht erinnern.«
»Ich weiß, Liebes.«
»Nein, weißt du nicht. Du weißt es nicht, weil du nicht dort warst. Du hast keine Ahnung, was ich in meinem Kopf sehe, wenn ich die Augen schließe. Manchmal bin ich irgendwo, wie zum Beispiel bei einer Party, und plötzlich stell ich mir vor, dass alle im Zimmer zu Tode gequetscht werden.«
Sie presste die Lippen zusammen, als hätte sie an meiner Stelle schlimme Erinnerungen. Dann sagte sie sanft: »Erzähl weiter. Ich möchte dir helfen.«
»Es passiert, wenn ich es am wenigsten erwarte; diese Bilder tauchen einfach in meinen Kopf auf. Ich WILL nicht weiter darüber reden. Es wird nie besser werden, und es gibt nichts, was du tun kannst. Wenn ich nicht meinen BLÖDEN SCHNÜRSENKEL hätte binden müssen, wäre alles anders gekommen. Verstehst du denn nicht, dass es meine Schuld ist?«
»Natürlich ist es das nicht.«
»Was weißt du denn? Du tust, als wärst du darüber weg, aber du arbeitest auch nicht wieder, obwohl du mich zwingst, in die Schule zu gehen. Ich komme einfach nicht damit klar.«
»Ich werde wieder arbeiten.«
»Wann?«
»Montag.«
»Warum hast du es mir nicht erzählt?«
»Ich erzähle es dir jetzt.« Mom verschränkte die Arme vor der Brust. »Es war nicht gerade leicht, mit dir zu reden.« Sie sagte es leise, als
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