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Vor meinen Augen

Vor meinen Augen

Titel: Vor meinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Kuipers
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»Sie haben mich hierhergebracht, um festzustellen …« Sie sah sich um. »Wo ist sie? Wo ist sie?«
    »Sie war bei mir. Sie war genau neben mir.«
    Mum wiederholte: »Wo ist sie, Sophie?«
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    Ein Arzt tauchte auf und legte seine Hand auf meinen Oberarm. Er sagte: »Eine Bombe ist explodiert. Man hat eine U-Bahn in die Luft gejagt. Wie ist dein Name? Du hast viele starke Prellungen, aber es ist nichts gebrochen. Du stehst allerdings unter Schock.«
    Ich versuchte, zu sprechen.
    Mum drückte meine Finger. Der Arzt lächelte sie freundlich an, und sie löste ihren Griff. Sie weinte. Sie sagte: »Ihr Name ist Sophie Marie Baxter. Ich bin ihre Mutter. Ihre ältere Schwester war bei ihr. Emily Baxter. Sie muss irgendwo hier sein. O mein Gott.«
    Der Arzt rief: »Haben wir eine Emily Baxter hier?«
    Ich sagte: »Sie war mit mir in der Bahn. Sie ist meine Schwester.«
    Eine Krankenschwester tauchte an der Tür auf, blickte auf ein Klemmbrett und schüttelte den Kopf. Dann sah sie zu uns und sagte: »Es ist das totale Chaos. Es gab eine weitere Explosion im U-Bahn-Bereich – oder sogar mehrere, glaube ich. Ein Terroranschlag. Selbstmordattentäter vielleicht, sie wissen es noch nicht. Warten Sie hier.«
    »Ich muss meine Tochter finden. Meine andere Tochter wird noch vermisst. Warum will mir denn keiner sagen, was los ist?« Mum liefen Tränen über beide Wangen, und sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, als wäre ihr kalt. »Bitte, finden Sie meine Tochter.«
    »Ich war in der U-Bahn«, sagte ich. Die Worte, die ich sagen musste, wollten einfach nicht herauskommen.
    »Sie steht unter Schock«, sagte der Arzt, nicht zu mir. »Schnitte und Prellungen, vorübergehender Gehörschaden. Es ist nicht so schlimm wie es aussieht. Sie hatte sehr viel Glück.«
    Ein Paar tauchte in der Tür auf, sie kamen mir irgendwie bekannt vor. Sie starrten mich hoffnungsvoll an, dann warfen sie sich einen verzweifelten Blick zu. Ich war nicht die, die sie zu finden hofften – es waren doch Fremde.
    Mum rief den Namen meiner Schwester, eilte davon, kam zurück. Sie war wie ein kopfloses Huhn, das noch umherflattert, obwohl das Leben zu Ende ist.
    »Mum, Emily ist immer noch dort unten«, sagte ich schließlich. Und fiel wieder in Ohnmacht.

Donnerstag, 27. April
    Mum machte einen Versuch, mit mir zu reden, als ich gerade zur Schule loswollte. Ich sagte: »Ich muss mich beeilen. Bin spät dran.«
    »Sophie, könnten wir zusammen zu Abend essen?«
    Ich blieb stehen und sah zu ihr zurück. Unter den Augen hatte sie dunkle Ringe, die vielleicht ständig blieben. Sie lächelte. Zu meiner Überraschung hörte ich mich sagen: »Warum sammelst du verlorene Sachen?«
    Sie runzelte die Stirn, dann sagte sie: »In meiner Sammlung sind sie nicht verloren. Es sind Dinge, die ich gefunden habe.«
    Ihre Antwort machte keinen Sinn. Ich sagte: »Ich komme noch zu spät zur Schule«, und drängte aus der Tür.
    Ich hörte sie mir nachrufen: »Was ist mit Abendessen?«

Freitag, 28. April
    Auf meinem Nachhauseweg von der Schule lief ich heute ganz langsam, um das Heimkommen möglichst hinauszuschieben. Ich sah auf den Boden und bemerkte gar nicht, dass mir jemand entgegenkam. Bis ich mit gesenktem Kopf in Dan hineinrannte! Ich wurde rot und spürte wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch.
    »Sophie«, sagte er und legte den Kopf zur Seite, um mir in die Augen zu sehen – prompt wurde ich noch roter im Gesicht.
    Ich wusste, ich sah furchtbar aus, und ich trug meine Schuluniform, was total peinlich war. Ich fuhr mir mit den Händen durchs Haar.
    Er sagte: »Ich wollte dich schon anrufen.«
    »Weswegen denn?«
    »Um dir zu sagen, dass ich dich sehen möchte.«
    »Es ist ja schon ewig her. Viel zu lang«, sagte ich.
    »Das heißt nicht, dass ich nicht an dich gedacht habe.«
    Mein Herz machte einen Sprung. »Was ist mit Abigail? Sie ist deine Freundin.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist einfach irgendwie passiert.« Er legte eine Hand auf meine Wange und meine Haut brannte. »Ich fand es toll, dich zu küssen. Du hast dich so gut angefühlt. Du bist so hübsch. Du bist es, die ich mag.«
    Trotz der Tatsache, dass ich nichts mehr von ihm gehört hatte, trotz der Tatsache, dass er und Abigail immer noch zusammen sind, konnte ich nicht anders, als ihm mein Gesicht entgegenzustrecken. Er beugte sich näher zu mir und legte seine Lippen auf meine. Die Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten wie verrückt.
    »O Dan«,

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