Vor meinen Augen
krank.«
»Du brauchst ein Attest.«
Ich schwieg.
Sie sagte: »Baxter! Bist du nicht die, die in der …«
Ich legte auf.
10 Und, und, und …
Dienstag, 25. April
Ich kletterte aufs Dach, saß da und starrte in die Luft. Dabei hatte ich immer das Gefühl, Emily sehen zu können. Oder ihre Stimme zu hören. Aber ich verstand nicht, was sie sagte.
Ich glaube, ich sterbe. Ich kann nicht mehr atmen. Und ich will mich auch nicht mehr an den Tag der Bombe erinnern, aber ich kann einfach nicht anders. Ich erinnere mich, wie ich mit Emily auf dem Bahnsteig stand. Ich erinnere mich genau, was ich sagte, und an jedes Wort, das sie mir antwortete.
Ich erinnere mich, wie ich meinen Schnürsenkel band und sagte: »Entschuldige, Em.«
»Kein Problem. Der nächste Zug kommt ja gleich.«
»Was werden wir uns nochmal ansehen?«
»Eine Sonderausstellung in der Nationalgalerie. Lichteffekte. Klingt doch gut, oder?«
»Und danach?«
»Ich weiß nicht, worauf hast du denn Lust?«, fragte sie.
Es war heiß. Und unglaublich viel los. Ich sah die anderen Passagiere auf dem Bahnsteig an. Ein großer Typ weiter hinten fing meinen Blick auf. Er lächelte. Der Zug kam. Wir stiegen ein.
Emily fasste mich am Ellbogen, als wir uns auf unsere Sitze quetschten und uns darüber freuten, in einem so überfüllten Zug noch Plätze bekommen zu haben, dann ließ sie los. Durch die Leute hindurch sah ich auf das dunkle Glas uns gegenüber, auf Emily und mich. Wir sahen so verschieden aus, Emily und ich. Ich, mit meinen dunklen Haaren und dem blassen Teint; sie, mit den blonden Haaren und den dunklen Augen.
Der Zug fuhr los, schwankte, so dass wir gegeneinander gedrückt wurden, Arm an Arm auf unseren Plätzen. Der Tunnel war dunkel um uns herum.
Emily wollte gerade etwas sagen.
Da zuckte orangefarbenes Licht auf und es gab einen riesigen Schlag.
Ich sah ihr Gesicht im Bruchteil einer Sekunde, die Augen weit aufgerissen und den Mund geöffnet zu einem Schrei.
Dann zerriss die Explosion das Spiegelbild von Emily und mir in Splitter. Glas sprühte in silbrigen Strahlen und ich schlug meine Hände vor die Augen. Es gab einen heftigen Schlag in meinen Rücken und meine Wirbelsäule wurde zusammengestaucht, mein Brustkorb schien bis hinauf zum Hals gepresst zu werden. Ich wurde in einem Sog erhitzter Luft gedreht und herumgeworfen. Jeder Teil meines Körpers wurde geschleudert und geschüttelt, und ich dachte, ich sähe einen riesigen Feuerball auf mich zufliegen, aber vielleicht war es auch nur die Hitze, die drohte, meine Augen zu versengen. Ich knallte auf den Boden und lag einen Moment lang ganz still. Die Luft stank nach verbranntem Haar und noch Schlimmerem.
Jemand schrie, es konnte auch ich selbst gewesen sein. Von dem Gefühl an meinen Handflächen her dachte ich, dass ich gegen den geriffelten Boden des Zugs gepresst lag, aber ich konnte im Dunkeln überhaupt nichts sehen. Ich versuchte aufzustehen, aber etwas drückte mich nach unten. Ich kämpfte in der Dunkelheit dagegen an und schob etwas Schweres von meinem Bein.
Ich schaffte es, aufzustehen, dann hustete ich und mir war schlecht. Das Schwere, was ich von meinem Bein geschoben hatte, war anscheinend mein Sitz gewesen. Überall war Rauch und Glas. Jemand schrie: »Helft mir bitte! Helft mir!« Ich berührte mit den Fingern mein Gesicht und fühlte etwas Feuchtes, Warmes. War es Blut? Tränen?
Mein Kopf dröhnte. »Emily«, krächzte ich entsetzt und gleichzeitig benommen. Alles schrie. Meine Ohren attackierten mich plötzlich brutal mit den Geräuschen anderer Stimmen. Ich streckte meine Hände aus. Ein Licht flackerte an und aus. Und wieder an. Ich sah Emily. Ich schrie, und ich wusste, dass ich es war, die schrie, denn meine Kehle schmerzte, als der Schrei ertönte.
Sie lag nicht weit von mir entfernt inmitten der kaputten Sitze. Ihr Hals war im ganz falschen Winkel. All ihre Glieder waren im falschen Winkel. Ich kämpfte mich zu ihr hinüber und schrie ihren Namen. Die verschiedenen Lagen ihrer Blusen waren halb weggerissen. Ich konnte die blasse Haut ihrer Schulter sehen, die voller Schmutz war. Ihre Augen waren halb geschlossen.
»Emily«, schluchzte ich. »Du schaffst das. Du schaffst das. Bleib bei mir.«
Die Luft stank nach Schweiß, nach Feuer und nach Angst. Meine Worte verpufften im Chaos und Staub um uns herum.
»Emily, hör mir zu. Halt durch. Ich hole Hilfe.«
Sie drückte meine Hand. Meine Ohren rauschten. Sie mühte sich zu atmen. »Sophie«,
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