Vor meinen Augen
nicht glauben, dass ich das alles gegessen habe.«
Megan sagte: »Ich hatte so viele Pommes. Jetzt sind sie alle weg.« Es gab eine kurze Pause. Sie sagte: »Du siehst toll aus. Weißt du, dass Zara es in fünf Sekunden schafft?«
Das Geräusch von Wasser, das in Waschbecken lief, war zu hören, dann wurde das Wasser wieder abgedreht.
Sie verließen zusammen den Toilettenraum, ihre Stimmen wurden abgeschnitten, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.
Mittwoch, 3. Mai
Wieso habe ich nicht bemerkt, was mit Abi los ist?
Freitag, 5. Mai
Die ganze Woche lang habe ich über Abi nachgedacht. Ich habe nicht gemerkt, dass meine beste Freundin sich selbst kaputtmacht. Wie konnte ich so blind sein? Mein Gott, alles ist so kaputt. Ich bin so kaputt.
Ich glaube, diese Panikanfälle habe ich nun ständig. Abi und ich reden kaum mehr miteinander, also kann ich sie nicht nach ihren Problemen fragen. Ich wüsste auch gar nicht, wo ich anfangen sollte. Aber sie tut mir leid. Dann tu ich mir wieder selbst leid. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.
Montag, 8. Mai
Heute musste ich zu Lynda. Ich setzte mich, und wie üblich war ich total angespannt. Sie sagte: »Ich könnte dich an eine andere Therapeutin überweisen, wenn dir das lieber wäre. Sie ist sehr gut. Vielleicht kannst du bei ihr reden.«
»Dann geben Sie auf?«, fragte ich.
»Nein, das nicht. Du kannst natürlich immer noch zu mir kommen, wenn du möchtest. Du bist hier stets willkommen. Ich bin nur nicht sicher, ob ich in der Lage bin, dir die Hilfe zu geben, die du meiner Meinung nach brauchst.«
Ich schwieg und dachte über das nach, was sie gesagt hatte. Ich dachte darüber nach, wie kaputt ich war.
Sie sagte: »Machen wir doch einen Schritt nach dem anderen. Es liegt bei dir. Was meinst du, wäre am besten?« Sie lächelte ihr bettelndes Welpenlächeln. Dieses Lächeln, das mich die ganze Zeit bei ihr so genervt hatte. Plötzlich wurde mir klar, dass es nicht ihre Schuld war.
Ich sagte: »Es tut mir leid, dass ich nicht mit Ihnen reden konnte. Ich weiß auch nicht, warum das so war.«
»Schon okay. Wie möchtest du denn gern weitermachen?«
»Ich würde gern zu der anderen Therapeutin gehen. Es ist nichts Persönliches. Ich denke, ich muss einfach von vorne anfangen. Mit jemand anders.«
Sie nickte.
»Das Schreiben hat aber jedenfalls geholfen. Danke, dass Sie mir das Notizbuch gegeben haben.«
Sie lächelte, und es gab nichts weiter zu sagen.
Mittwoch, 10. Mai
Ich habe so viele Hausaufgaben, ich hatte gar keine Zeit zum Schreiben. Abi sieht immer noch furchtbar aus. Dan hat nicht angerufen. Ich gehe Mum aus dem Weg. Und ich habe so viele Hausaufgaben zu erledigen und Prüfungen, auf die ich lernen muss. Schlafstörungen habe ich auch. Nicht, dass ich die nicht schon eine ganze Weile gehabt hätte.
Samstag, 13. Mai
Heute bin ich sehr früh aufgewacht, weil Emilys Geburtstag ist. Sie wäre zwanzig geworden. Ich lag in der Dunkelheit da und dachte an sie. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie jetzt aussehen würde, aber ich konnte es nicht. In meiner Vorstellung sieht sie genauso aus wie an dem Morgen, an dem ich sie zuletzt sah.
Ob sie wohl eines Tages eine große Künstlerin geworden wäre? Oder Lehrerin? Oder Sozialarbeiterin? Ich kann sie mir gut in einem Job vorstellen, wo sie anderen Leuten hilft. Ob sie wohl in der Zukunft geheiratet und Kinder bekommen hätte?
Eine schleichende Wut fraß sich durch mich hindurch. Jetzt würde sie nie Kinder haben. Ich würde nie Tante werden. Mein Gott, ich möchte so gern meine Schwester an ihrem Geburtstag sehen.
Sonntag, 14. Mai
Ich habe noch einmal an diesem Gedicht gearbeitet und mir einen letzten Vers ausgedacht.
Die Äste der Bäume
Nackt stehen sie da
Mit Ringen an den Fingern
Und Knoten im Haar
Das Silber des Winters
Ist rauchig vor Regen
Die Hexen des Sonnenlichts
Fliegen tief, auf andern Wegen
In einer Pfütze von Grau
Sich der letzte Sommer verbirgt
Nichts schwimmt mehr darin
Und meine Schwester stirbt
Vor meinen Augen
Mittwoch, 17. Mai
Mein Gott, ich wünschte, ich könnte wieder zurückgehen zu der Nacht, in der ich mit Emily auf dem Dach saß. Ich wünschte, ich könnte die Zeit in diesem Moment anhalten und nie mehr weitergehen lassen. Ich wünschte, ich könnte für immer dort bleiben.
Donnerstag, 18. Mai
Ich kam von der Schule nach Hause und stieß meine Zimmertür hinter mir zu. Ich hatte kaum Zeit, Luft zu holen, da kniete ich auch schon weinend auf dem
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