Vor Schmetterlingen wird gewarnt (German Edition)
schien und in seine Muskeln eindrang, ja sogar bis in die Knochen.
Andererseits, welcher heißblütige Heteromann hätte nicht so reagiert? Diese Frau hatte einfach alles. Da war ihre cremefarbeneHaut, die absolut kein Make-up benötigte, bis auf das Abdecken ihrer zimtfarbenen Sommersprossen. Dann waren da noch ihr volles Haar und ihre Grübchen beim Lachen. Und nicht zu vergessen ihr umwerfender, sehr individueller Stil.
Und dieser Körper. Himmel, was für ein Körper!
Selbst damals, als er ein beliebtes Mitglied der angesagten Clique war und sie zu den unsichtbaren Außenseitern gehörte, hatte er eine heimliche Schwäche für Ava und ihre Art gehabt. Oft hatte er sie beobachtet und ihre Weiblichkeit bewundert, die in ihren vollen Brüsten, ihrem sexy Po und ihren Bewegungen zum Ausdruck kam. Selbst mit den paar Pfunden zu viel. Trotzdem hatte er dann keine Skrupel, sie der Meute auszuliefern. Deshalb war seine heutige Reaktion auf sie vermutlich auch leicht erklärbar: Es handelte sich bloß um verspätete Reue.
Außerdem war sie kein wehrloses Opfer. Damals schlug sie ziemlich hart zurück, als er sie der Lächerlichkeit preisgab. Und anschließend fing sie an, sich in eine echte Göttin zu verwandeln.
Wenn er jedoch eines gelernt hatte, dann dass er sich nur auf sich selbst verlassen konnte. Ava würde ihm nie wohlgesinnt sein. Warum wurmte ihn dann so eine Kleinigkeit wie ihr Lachen, das nicht ihm galt?
Er biss die Zähne zusammen und drehte den Kopf, um die Verspannungen im Nacken zu lösen. Es wurmt mich nicht, sagte er sich. Kein bisschen. Das war nur ein Anflug von Nostalgie, etwas Wehmut bei der Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Das würde gleich vorbeigehen.
Solche Momente gingen immer schnell vorbei.
Er wandte sich der Frau zu, deren Kleid Beks gerade mit der Fusselrolle bearbeitete. Dann gab er dem Kameramann ein Zeichen, mit der Aufzeichnung zu beginnen.
„Mrs Sandor“, begann er mit sanfter Stimme und rückte seinen Sessel ein Stück näher an sie heran. Seine ganze Konzentration galt nun seiner Interviewpartnerin. Er verbannte alles andere aus seinen Gedanken und bereitete sich darauf vor, den Kick zu suchen, den ihm jedes neue Interview verschaffte – jene Befriedigung,die Geschichte eines Menschen zu erzählen und lebendig werden zu lassen. „Als wir uns am Telefon unterhielten, sagten Sie mir, dass Sie und Agnes Wolcott 1946 beide Debütantinnen gewesen wären – wenn Agnes sich nicht geweigert hätte, am Ball der Debütantinnen teilzunehmen. Können Sie mir darüber ein wenig mehr erzählen?“
Tony Phillips, der Wachmann der Tagschicht, schaute sich im oberen Flur um. Als er sah, dass die Luft rein war, ging er zum Wohnzimmer von Agnes Wolcotts Schlafzimmersuite. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und er spürte beinah das Blut durch seine Adern rauschen. Was machte es schon, dass dies keine von den Betrügereien war, mit denen er sich sonst abgab?
Laut Onkel Mike war dies hier noch um Längen besser: ein Ticket zum Wohlstand.
Tony hatte keine Ahnung, ob das wirklich stimmte. Er wusste nur, dass er das obere Stockwerk für sich allein hatte. Deshalb würde er aber keinesfalls leichtsinnig werden. In das Zimmer hineinzugelangen war einfach. Wieder hinauszugelangen, und zwar mit den Wolcott-Juwelen in der Tasche, würde vielleicht nicht ganz so einfach sein. Doch wenn es ihm gelang, wenn er tatsächlich an die lange vermissten Diamanten der alten Dame herankam, dann wäre die Information des Alten Gold wert. Alles, was er dann noch tun musste, war, sich ruhig und unauffällig zu verhalten, bis John von der Nachtschicht kam und ihn ablöste.
Das Wissen, dass er diesem Job für immer Lebewohl sagen konnte, sobald er mit den Klunkern in der Tasche aus dem Haus marschierte, machte ihn beschwingt. Bald konnte er ein faules Leben an irgendeinem tropischen Strand führen. Was waren schon ein paar Stunden, verglichen damit?
Kaum hatte er das Wohnzimmer betreten, zerplatzte seine Fantasie jäh. Er stand wie angewurzelt auf der polierten Tannenholzdielen und starrte auf die Wand zu seiner Linken. „Schweinehund.“
Er hätte wissen müssen, dass es zu schön war, um wahr zu sein.
Aber er hatte sich an die Legende von Mike Mapertons Coup aus den Achtzigern geklammert. Er war mit den Geschichten über seinen Onkel aufgewachsen, der die Wolcott-Diamanten gestohlen hatte. Diese Geschichte hatte sich zu einer städtischen Legende entwickelt, so pikant, dass sie noch heute
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