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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Seelenheil. Mein Seelenheil war in Gefahr. Der Tod wäre nur eine Erlösung gewesen.
    Verkrampft schlucke ich. Mein Rachen schmerzt, als würde ich eine Halsentzündung bekommen. Wie lange habe ich gerufen, bis Jonas mich hörte? Oder habe ich auch das Rufen nur geträumt?
    »Bin okay«, murmele ich matt und streife den Träger meines Nachthemds wieder über die linke Schulter. Doch ich kann Jonas’ prüfendem Blick kaum ausweichen. »Mir geht’s gut.«
    »Ja, sicher.« Jonas schüttelt langsam den Kopf. »Ich hab noch nie erlebt, dass du einen solchen Albtraum hattest …«
    »Du schläfst ja auch nicht neben mir«, erwidere ich naseweis, doch er hat recht. Ich bin eine geborene Schönträumerin – falls ich mich überhaupt an meine Träume erinnere. Meistens schlafe ich so fest, dass ich morgens nichts mehr von ihnen weiß. Wenn doch, stammen sie aus einem fernen Märchenwunderland, und falls es mal schlechter läuft, geistern nicht Feen und kühne Ritter um mich herum, sondern böse Hexen und listige Zwerge.
    Das hier war etwas völlig anderes gewesen. Diese Bilder waren lediglich eine Verkörperung dessen, was tiefer sitzt und nach wie vor bereit ist, sich zu zeigen. Ich spüre es. Heute Nacht werde ich keine Sekunde mehr schlafen. Es ist zu gefährlich.
    »Ich würde es merken, wenn du schlecht träumst, glaub mir – vor allem, wenn du dabei …« Jonas zögert.
    »Was, wenn ich dabei?«, hake ich unsicher nach. »Ich hab geschrien, oder?«
    »Weißt du auch noch, nach wem?« Jonas klingt gefasst, doch in seinen Augen sehe ich etwas aufblitzen, das sich in meiner Spiegelung anfühlt wie Angst.
    »Keine Ahnung. Weiß nicht.« Es kommt mir von Sekunde zu Sekunde unwirklicher vor. Selbst wenn ich nach ihm gerufen habe – warum habe ich dann nicht seinen richtigen Namen benutzt?
    »River.« Jonas’ sonst so klare Stimme ist rau geworden. »Du hast nach River gerufen. Hat er dir etwas getan? Im Traum? Oder vielleicht sogar …«
    »Nein!«, rufe ich etwas zu heftig und schiebe Jonas’ Hand von meinem Arm. »Hat er nicht. Außerdem hast du dich verhört, ich habe Hilfe gerufen, nicht River. Hilfe.«
    »Klingt ja auch fast gleich.« Jonas atmet seufzend aus. »Ronia, ich weiß, dass du mir etwas verschweigst, seit Silvester, ich bin nicht blöd. Da ist etwas passiert. Und ich schwöre, wenn er dir etwas getan hat, dann wird er auf diesem Planeten keine …«
    »Er hat mir nichts getan, verdammt!« Ich muss husten, meine Stimme ist völlig lädiert. Nein, Jan hat mir nichts getan, bis auf die Tatsache, dass seit unserem Kuss mein komplettes Innenleben ein erotisches Katastrophengebiet geworden ist und ich ganze Stunden damit zubringe, im Internet nach ebensolcher Musik zu suchen (und es gibt sie), sie zu hören und dabei unseren einen Kuss unzählige Male von Neuem zu durchleben – was so unbefriedigend schlecht funktioniert, wenn Jan nicht dabei ist. Aber an diesem Albtraum ist er nicht schuld, das weiß ich so sicher wie das Amen in der Kirche, auch wenn jeder Psychologe samt Jonas und Johanna das Gegenteil behaupten würde. Es sei denn, sie würden die Geschichte mit der Beinahe-Vergewaltigung kennen. Doch auch sie scheint mir nicht in Zusammenhang mit dem Traum zu stehen. Sie hat mich eine Weile vor dem Einschlafen begleitet, fast jeden Abend, in kurzen, abgehackten Bildern. Dieser Albtraum aber hatte nur mit mir zu tun. Deshalb macht er mir ja solche Angst. Es waren meine eigenen Dämonen.
    »Wie spät ist es?«
    Jonas löst seinen Blick mit einem weiteren Seufzen von meinem Gesicht und schaut auf seine Armbanduhr. »Zwanzig nach drei. Meinst du, du kannst wieder schlafen?«
    »Bestimmt.« Ich höre mich zuversichtlich an und was will Jonas auch tun? Auf meiner Bettkante sitzen bleiben, als wäre er mein Vater?
    »Na gut. Wenn was ist, dann …«
    »Ich weiß schon.« Eigentlich ist das erbärmlich. Jonas wartet auf den Moment, in dem es mir so schlecht geht, dass ich zu ihm unter die Decke krieche, und er durchschaut das ebenfalls. Ich sehe es ihm an. Beinahe tut er mir leid deshalb. Seine Miene verschließt sich, als er aufsteht und zur Tür geht – keine Abweisung mir, sondern sich selbst gegenüber. Erst jetzt fällt mir auf, dass er nur eng anliegende Shorts trägt, was ihm ebenso gut steht wie ein Duschhandtuch. Andere Frauen hätten diese Minimalnachtbekleidung sofort registriert. Ich sehe es erst beim dritten Blick.
    Der Schweiß auf meiner Stirn ist getrocknet und durch den schlecht

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