Vor uns die Nacht
kehrtzumachen und mich weitere drei Wochen erfolglos im Vergessen zu üben – ein altes und lückenhaftes Rezept, das noch nie aufgegangen ist. Lieber streite ich mich vorher noch ein bisschen mit ihm, vielleicht wird es dann leichter.
So lautlos wie möglich schleiche ich mich an ihn heran und an ihm vorbei, kehre ihm einige Meter von seinem Baum entfernt den Rücken zu und gieße mir den Rest des Wassers über mein Gesicht, denn das synkopische Jagen meines Pulses macht es mir unmöglich zu sprechen. Ich muss zu Atem kommen.
Der ovalförmige, dunkelgrüne Tümpel vor meinen Füßen schenkt meinen Augen ein wenig Ruhe, entwickelt aber gleichzeitig einen Sog, der mir unheimlich ist. Seen, denen man nicht auf den Grund blicken kann, mochte ich noch nie. Man weiß nicht, was unter ihrer Oberfläche lauert. In diesem Teich könnten sich verwesende Leichen und Tierkadaver befinden – oder aber verwunschene Nixen mit grünen, großen Augen wie meinen, langem Haar und spitzen Öhrchen.
Als würde dieses Bild mich beflügeln, drehe ich mich in einer gleitenden Bewegung zu Jan herum und schaue dabei zu, wie er den Rest des Joints inhaliert, genüsslich und mit halb geschlossenen Augen, bevor er ihn ausdrückt und hinter sich ins Gebüsch wirft. In seinen Ohren stecken Kopfhörer, er konnte mich nicht kommen hören; ich hätte mir mein blödes Indianeranschleichen ruhig sparen können. Aber warum ist er dann nicht erschrocken? Mit der Linken zieht er sich unvermittelt die Stöpsel heraus, bleibt jedoch sitzen. Ist das eine Aufforderung?
»Also stimmt es«, stelle ich mit rauer Stimme fest. »Das mit den Drogen.«
»Ja, stimmt«, antwortet er unberührt und streckt sich, bevor er die Arme hinter dem Kopf verschränkt und seine Lider vollständig herabsinken lässt. Unwillkürlich taste ich nach meinem Handy, das in der Potasche meiner Laufhose steckt und mir ein viereckiges Hinterteil verleiht. Kann ich mir diesen Anblick merken? Und zu Hause malen? Nein, verdammt, so gut malen kann ich nicht. Ach, was denke ich da nur wieder – hab ich nicht gehört, was er gerade gesagt hat?
»Ich kiffe«, bestätigt er meine mühevoll rekapitulierenden Gedanken. »Und, weiter?«
Frustriert lasse ich meinen Atem durch die Nasenflügel strömen. Ich frage ihn aus und fühle mich dabei, als würde ich mich in einem Verhör befinden. Das passt mir gar nicht. Trotzdem mache ich weiter.
»Nur Kiffen? Nicht auch anderes? Oder ist das ein Polizistenmärchen?«
»Korrekt, auch anderes. Hab es aber reduziert. Sonst noch was?«
»Warum hast du es reduziert?« Eine Sozialarbeiterfrage, ich weiß, aber ich will irgendetwas Gutes hören, etwas Geläutertes, Erwachsenes. Etwas, was ihn rettet, wenigstens ein bisschen.
»Gibt mir nicht mehr viel.«
»Was hat es dir denn gegeben?«, bleibe ich stur. Noch immer lässt er seine Augen geschlossen und wieder verspüre ich den bohrenden Wunsch, seinen Anblick festzuhalten, obwohl mir genau das wie ein Frevel vorkommt. Doch ich habe schreckliche Angst, dieses Bild für immer zu vergessen. Dabei ist er vermutlich nicht nur bekifft, sondern auch betrunken. Neben ihm liegt eine leere Bierflasche im Gras. Es wird nicht die einzige gewesen sein.
»Ach, man glaubt, seinen Horizont zu erweitern, und testet immer mehr und immer härtere Sachen und in anderen Kombinationen und letzten Endes …« Er spart sich weitere Erklärungen. Nur ansatzweise die richtige Antwort, Jan, denke ich fast verzweifelt, doch noch dominanter als die Unzufriedenheit über seine lapidaren Wortmeldungen ist meine Sorge um ihn. Harte Sachen – ist Kiffen nur eine Aufwärmübung? Er sagte, er habe es reduziert. Und nicht, er habe damit aufgehört. Also tut er es immer noch. Ich gehe vor ihm auf die Knie, ohne mich um die normalerweise übliche Distanzgrenze zu kümmern, und starre argwöhnisch auf seine nackten Unterarme. Sind das Einstiche? Nein, Leberflecke, wie dunkle Sommersprossen, vier am linken und zwei am rechten Arm. Es sind doch Leberflecke, oder?
»Das ist doch der letzte Dreck. Hältst du mich für dumm?«
Allein sein Tonfall lässt mich aufspringen und zwei Meter zurücktreten.
»Du sagtest, harte Sachen, und Heroin ist eine …«
»Wenn ich mal sterben will, nehme ich Heroin. Okay? Da ich aber leben will, lass ich die Finger von Müll. Ich bin kein Junkie, Mädchen, ich hab was in der Birne, und zwar nicht zu knapp.«
»Falls dein übersteigertes Selbstbewusstsein noch Platz dafür lässt«, entgegne ich
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