Vor uns die Nacht
bärbeißig. Meine Herren, da ist jemand aber überzeugt von sich. Doch er grinst nur.
»Lässt es, glaub mir. Genug Space übrig. Ich muss mich hier aber nicht rechtfertigen, bilde dir das bloß nicht ein. Mir ist egal, was du davon hältst – und was all die anderen davon halten. Mir macht’s Spaß, mal dieses und jenes auszuprobieren und dann wieder sein zu lassen. Nichts bleibt. Alles im Fluss.«
Oh, jetzt auch noch ein Grundkurs in Drogenphilosophie. Nichts bleibt, alles im Fluss. Ähnlich wird er es mit dem Frauenvolk handhaben. Ab und zu was Neues ausprobieren und dann wieder ausmustern, bevor es langweilig wird. Warum hat er mich dann bisher nicht ein einziges Mal direkt angeschaut, sondern nur in dem Moment, als ich ihm den Rücken zuwendete? Angst? Oder gehöre ich bereits zum alten Eisen?
Ich bin es jedenfalls überdrüssig, Fragen zu stellen, die unbefriedigende Antworten ernten, doch ich kann mich auch nicht dazu durchringen zu gehen. Sollte ich jetzt gehen, wird es ein hohles, leeres Gefühl in meinem Bauch hinterlassen und ich werde mich mit noch mehr Vermutungen und Theorien martern, als ich es in den vergangenen Wochen schon getan hatte. Wenn er mit mir spielt, will ich wenigstens die Regeln kennen.
Doch er regt sich nicht, sitzt da wie ein Aktmodell, das gerade porträtiert wird, und lauscht mit geschlossenen Augen in den Himmel. Die untergehende Sonne leuchtet ihn von der Seite an, sodass ihn die harten Schatten seiner rechten Gesichtshälfte reifer und älter wirken lassen, als er ist. Aber zugleich verleihen sie ihm eine fast überirdische Ausstrahlung. Wenn er sich in der nächsten Sekunde in pures Licht verwandelte und auflöste, würde es mich nicht mehr verblüffen, als wenn er endlich seine Augen öffnen und mich anblicken würde.
Da aber nichts von beidem passiert, fummele ich nun doch mein Handy aus der Hosentasche, schalte die Videokamera ein und gebe mir keine Mühe, mein Vorhaben in irgendeiner Weise zu vertuschen. Ja, ich filme ihn – das will er schließlich, oder?
Wieder wandert das überhebliche Grinsen über sein Gesicht. Wie kann er wissen, was ich tue, er sieht doch nichts?
»Findest du mich schön?«
Mit der Kamera in der Hand gefriere ich zu Eis. Na prima, Ronia, das hast du ja toll hingekriegt. Verbissen schweige ich.
»Ich hab dich was gefragt, Ronia. Findest du mich schön?«
Genervt schalte ich die Kamera aus und stopfe das Handy zurück in meine Tasche.
»Du bist der schönste aller Männer und zu unserem großen Glück hältst du dich auch dafür. Aber selbst wenn es so wäre und du ein Mann und kein eingebildeter Knabe …« Ich muss Luft holen. Erst jetzt merke ich, dass ich vom Laufen noch aus der Puste bin, und plötzlich bricht mir der Schweiß aus allen Poren. Mit dem Handrücken wische ich ihn mir von der Stirn und den Schläfen. »Selbst wenn es so wäre«, fahre ich leiser fort, »bedeutet es nichts. Gar nichts.«
»Warum filmst du mich dann? Das sind nur Abbilder.« Abfällig wedelt er mit der Hand, als würde ihm das täglich passieren. Ich weiß nicht, was ich erwidern soll. Die Wahrheit? Und dann meinen Worten in der nächsten Sekunde widersprechen?
»Vielleicht, um mir genau das vor Augen zu führen. Dass es nur Abbilder sind. Nichts sonst«, lüge ich, doch ich finde, es ist eine gute Lüge. Ich schlage ihn mit seinen eigenen Waffen. Er lacht lautlos auf und erhebt sich, um so nah an mich heranzutreten, dass ein Hauch Tabak und verfliegende Moleküle eines orientalischen Männerparfums meine Nase streifen. Mit dem Parfum hatte ich nicht gerechnet. Es macht mich schwindelig.
Jetzt ist es gut möglich, dass er mich ansieht, er wird wohl kaum mit geschlossenen Lidern aufgestanden sein. Doch meine Augen kleben an seinen Boots, die gut und gerne 300 Euro gekostet haben werden, wenn nicht mehr. Muss sehr beliebt sein bei seinen Kundinnen, der schöne Jan. Hatte er heute schon eine? Trägt er deshalb Parfum?
»Viel Spaß noch«, sage ich kalt und wende mich ab, doch meine linke Hand schert sich nicht um meine abweisenden Worte.
Es könnte Zufall sein, eine versehentliche, flüchtige Berührung, schließlich stehen wir eng beisammen und sind eingerahmt von Bäumen und Büschen. Doch es entflammt mich wie ein Gewitter, das sämtliche Nervenbahnen entlangjagt, als ich meine Hand hebe und meine Fingerknöchel wie zum Abschied über seinen nackten Unterarm streifen lasse. Seine Haut ist weich und warm und ich spüre, wie ein Schauer durch seinen
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