Vor uns die Nacht
Signalton und ich weiß schon jetzt, dass ich ihn nie wieder in meinem Leben hören kann, ohne dabei an Jan zu denken. Mein Herz verliert seine nächtliche Starre, wird weit und groß, sobald ich mich traue zu lesen, was er geschrieben hat – kurz nach Mitternacht, genau zu dem Zeitpunkt, in dem mich meine Träume zu sich geholt hatten und ich schwerelos, hell und leicht wurde.
»Eben habe ich mich berührt, als ich an dich gedacht habe. Ich möchte dich fühlen … Schlaf gut.«
Glut auf unserer Haut
J etzt reicht es aber langsam!«, keife ich dem Autofahrer hinterher, mit erhobenem Armen und einem Blick, der vermutlich selbst Lava in Eis verwandeln könnte. »Könnt ihr nicht aufpassen?« Doch hinter seinem Scheibenwischer sieht er mich vermutlich nicht einmal, und beim nächsten heranrauschenden Wagen mache ich mir nicht mehr die Mühe, ein Ausweichmanöver zu starten. Wohin auch? Links neben mir erhebt sich das Geländer, rechts braust der Feierabendverkehr über die Brücke, nur durch Pfützen von mir getrennt, deren brackiger Inhalt sich immer wieder großzügig über meine Beine ergießt.
Nun beginnen auch meine Haare zu triefen und ich komme nicht drum herum zu akzeptieren, dass es schlechteres Wetter für eine abendliche Joggingrunde kaum geben könnte. Ich hätte es wissen müssen. Den ganzen Tag schon hatte die Sonne sich nicht gezeigt und ein kühler Wind fuhr launisch durch die Straßen. Gegen Nachmittag begann es zu tröpfeln – jenes gleichmäßige Nieseln, das sich unaufhaltsam zu einem schweren Landregen entwickelt, bis es schüttet wie aus Eimern. Dieser Punkt ist jetzt erreicht. Eine neue Windböe reißt an meinem dünnen Fleecejäckchen und lässt mich trotz der Bewegung frösteln, doch noch bin ich zu stur, um aufzugeben. Ich will es nicht wahrhaben – dass heute wieder nichts passieren wird. Karfreitag war beklagenswert genug, gerettet nur durch Jans offenherzige Mail, deren Worte mir jedes Mal wie elektromagnetische Wellen in den Bauch fahren, wenn ich sie lese. Geantwortet habe ich nicht. Alles, was ich hätte schreiben können, kam mir doof und kindlich oder aber zu pornografisch vor. Billig will ich auf keinen Fall wirken. Die Grenzen zwischen stilvoll erotisch und peinlich sind so fragil und dünn – zumal ich nie weiß, welche Reaktion ich damit ernte. Er könnte stilvoll antworten oder aber eine Bemerkung ablassen, die es mir verbieten würde, jemals wieder an ihn zu denken.
Am darauffolgenden Freitag hatte ich vor lauter Bauchflimmern und Herzklopfen kaum einen geraden Schritt laufen können, bis ich in einen wütend-hilflosen Flow geriet, weil ich nur Hundebesitzern begegnete, es nirgendwo nach Haschisch roch und ich selbst in den Auwäldern, die inzwischen hellgrün geworden sind und deren Tümpel von Kaulquappen wimmeln, keine Spur von ihm fand. Fast zweifelte ich daran, dass es all das zwischen uns gegeben hatte.
Zu Hause unter der Dusche habe ich vor Enttäuschung beinahe geweint, lediglich mein Stolz hielt mich davon ab. Ich dachte nur an ihn.
Heute muss etwas passieren.
Aber jetzt ist es der Himmel, der weint, als wolle er nie wieder aufhören. Immer dichter wird der Regen. Es ist Mai, rede ich mir ein, fast Sommer, da kann es von einer Minute auf die andere aufklaren und die letzten Strahlen der Sonne locken die Menschen ins Freie. Auch Grenzgänger wie ihn.
In zorniger Entschlossenheit laufe ich weiter, das andere Ufer fest im Blick. Die Autofahrer mögen mich für heldenhaft halten, eine echte Sportlerin, die ihr Programm auch dann durchzieht, wenn es stürmt und schneit. Wenn sie wüssten. Oh Gott, wenn irgendjemand wüsste, warum ich mich so quäle – es würde mich keiner mehr ernst nehmen. Niemals wäre ich früher freiwillig bei solch einem Mistwetter ins Freie gegangen. Ich hab sogar manchmal Vorlesungen geschwänzt, weil ich mich nicht imstande sah, die dreihundert Meter von der Bibliothek durch die Innenstadt zum Lesungssaal zu laufen, und Regenschirme hasse wie die Pest. Jetzt kämpfe ich mich klatschnass durch den Wind und ertrage dabei fast winterliche Temperaturen. Wozu? Um wieder enttäuscht zu werden?
Es ist ein winziger, armseliger Rest von Hoffnung, der mich vom Kiesstrand weg zu den Bäumen treibt, wo ich unter einer großen Platane Schutz suche und mich erschöpft gegen ihren nassen Stamm lehne. Das Dickicht scheint im Regen zu singen – das Rauschen und Plätschern des Wassers, das Zwitschern der Vögel und das Quaken der Frösche vermischt
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