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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Abend.«
    Noch bevor ich seine Zeilen gelesen und begriffen habe, weist der Messenger mich darauf hin, dass Jan wieder offline ist. »Zuletzt online heute, 15.30 h.«
    Er ist weg. Auf einmal fühle ich mich verlassen und alleine. Die Höllenfahrt ist vorüber, viel zu schnell und abrupt. Jetzt erst realisiere ich, was ich seit mindestens zehn Minuten tue – ich sitze auf dem Gästeklo des Pfarrhauses und schreibe Nachrichten von nicht übersehbarer erotischer Brisanz an einen Bad Boy. Allein dafür werde ich in die Hölle kommen.
    Wie stellt er sich das eigentlich vor? Ich soll bis heute Abend warten – warum? Juckt es ihn gar nicht, dass ich ihm nicht geantwortet habe? Oder nahm er meine Gegenfrage als ein Ja?
    »Bin ich blöd«, flüstere ich atemlos. Natürlich hat er das. Warum sonst sollte ich die Gegenfrage stellen? Wenn es mich nicht interessiert? Jetzt geht er davon aus, dass ich es tue. Was ja die Wahrheit ist. Ein äußerst nerviger und viel zu schwerwiegender Verdacht in meinem Unterbauch weist mich außerdem darauf hin, dass er bereits die ganze Zeit davon ausgegangen ist. Was im Grunde auch kein Wunder ist, denn ich habe ihn in den Hals gebissen, bevor wir uns das erste Mal küssten, und vor einer Woche auf der Brücke beinahe seine Erektion mit meiner Hand umschlossen. Meine Finger können nur Zentimeter entfernt gewesen sein. Deutlicher kann man einem Mann nur sagen, dass man ihn will, wenn man auch diese letzten Zentimeter überschreitet – was ich in meinen Fantasien längst getan habe. Nun, immerhin friert man in der Hölle nicht, ganz im Gegensatz zu diesem lausig kalten Plätzchen. Aus purem Pflichtbewusstsein mache ich schnell Pipi, damit es sich auch gelohnt hat, spüle, spritze mir Wasser ins Gesicht und in meinen Ausschnitt, weil ich in Flammen stehe, und gehe zurück zum Esszimmer. The show must go on.
    Sobald ich den Raum betrete, verstummt das sorgengetränkte Raunen, in das meine Eltern und Freunde vertieft waren, und alle vier schauen mich an. Augenblicklich fühle ich mich schuldig.
    »Ich … äh … mein Bauch ist ein bisschen – weiß nicht. Vielleicht was Falsches gegessen.«
    Kabeljau zum Beispiel. Mama wirft Johanna einen aufmunternden Blick zu, woraufhin diese ihre Schultern strafft und mich fest anschaut. In ihren braunen Augen macht sich eine mütterliche Ernsthaftigkeit breit, die ich trotz meiner verschiedenen Sündhaftigkeiten verwirrend finde. Was kommt denn jetzt noch?
    »Ronia, Süße. Ich bin deine beste Freundin, Jonas ist dein bester Freund und das hier sind deine Eltern. Du kannst es uns ruhig sagen, wenn …« Nun verlässt sie doch der Mut und sie blinzelt Hilfe suchend zu Mama hinüber, die mir für heute ihr erstes aufrichtig freundliches Lächeln schenkt.
    »Wir werden damit zurechtkommen. Es gibt für alles Lösungen. Vertrau uns. Wir reden auch mit Lukas, wenn es nötig ist.«
    Lukas? Warum denn mit Lukas? Ich will ihn nicht zurück und die Vorstellung, dass meine Eltern bei ihm meine zerstörte Beziehung einklagen, ist erniedrigend. Oder glauben sie am Ende, ich sei – sie denken doch nicht, ich sei schwanger? Ich will aufspringen und eine ambitionierte Verteidigungsrede starten, doch Jonas kommt mir zuvor.
    »Du isst immer unregelmäßiger, dir ist oft schlecht, deine Figur hat sich verändert, du verschließt dich immer mehr und das eben …« Er hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen. »Wir können doch eins und eins zusammenzählen.«
    »Nein, das könnt ihr offensichtlich nicht!« Jetzt bin ich doch aufgestanden. »Ich bin nicht schwanger, wovon denn auch? Wie kommt ihr nur auf solche idiotischen Ideen? Meine Figur hat sich außerdem überhaupt nicht verändert.« Das stimmt nicht, ich hatte gestern Abend selbst den Eindruck, dass ich trotz der strafferen Muskeln weiblicher geworden bin. Aber ich war immer eine Spätentwicklerin gewesen – vielleicht durchlebe ich gerade den letzten Pubertätsschub. Wenn ich von Lukas schwanger wäre, müsste man außerdem längst einen Bauchansatz sehen. »Guckt doch!«, rufe ich und schiebe die graue Bluse hoch. Vier Augenpaare starren auf meinen flachen, wohlgeformten Bauch, in dem sich zwar viel Grummeln und Blubbern versteckt, aber ganz bestimmt kein Baby. Jonas ist der Erste, der seine Blicke wieder abwendet. Johanna schaut eher neidvoll drein. Mama bleibt undurchsichtig leblos und Vater schließt für einen Moment erleichtert die Augen. Trotzdem sehe ich, dass sie dem Braten noch nicht ganz

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