Vor uns die Nacht
meinen nackten Füßen zu spüren. Ohne Jan eines weiteren Blickes zu würdigen, lasse ich mir von Ganesha das Bad zeigen, schlüpfe hinein und schließe die Tür ab. Er hat auf meinen Hintern geschaut. Ich weiß es genau, er hat gestarrt – auf meinen Hintern und auf meine nackten Füße. Kritisch betrachte ich sie, doch da gibt es nichts zu beanstanden. Ich habe schöne Füße, schmal und mit langen Zehen und einem filigranen, silbernen Kettchen um den linken Knöchel. Im Sommer trage ich sogar manchmal Zehenringe. Angeblich Tussi-Attribute, aber das ist mir egal, denn mir gefällt es. Ich mag meine Glitzerflossen.
Erst nach einigem Suchen finden meine Finger den Lichtschalter. Sobald ich mich in dem kleinen fensterlosen Raum orientiert habe, schäle ich mich aus meinen nassen Klamotten, habe aber keine Ahnung, wo ich sie hinlegen soll. Es gibt keinen Hocker oder gar ein paar freie Haken. Ich kann sie höchstens über die Duschvorhangstange werfen. Außerdem fällt mir auf, dass ein Mülleimer fehlt, in dem ich mein durchweichtes Taschentuch entsorgen kann. Ein Badezimmer ohne Mülleimer? Sofort muss ich an Jans Job denken. Jemand wie er muss doch die Möglichkeit haben, »Dinge« im Bad zu entsorgen. Gebrauchte Kondome zum Beispiel. Obwohl das ein Gedanke ist, bei dem mir fast schlecht wird. Wahrscheinlich befindet sich der Mülleimer im Schlafzimmer oder im Wohnzimmer – eben dort, wo er seine Kundinnen empfängt.
Auf dem Waschbeckenrand entdecke ich eine teure elektrische Ultraschall-Zahnbürste neben einem Päckchen Zahnseide und Flüssigseife. Er achtet also auf seine Zähne. Das ist ein vernünftiger Ansatz, der mir den nötigen Mut verleiht, die Türchen des Spiegelschränkchens zu öffnen. Ich weiß, ich dringe in seine Privatsphäre ein, aber er schickt mir Mails zum Thema Masturbation – das hier ist lediglich ein überflüssiger Schritt, den ich längst vorher hätte gehen sollen. In puncto Privatsphäre haben wir die üblichen Grenzen schon bei unseren ersten Begegnungen weit überschritten.
Trotzdem lasse ich meine Blicke zuerst vage schweifen, bevor ich genauer hinsehe. Das Schränkchen kommt mir vor wie ein heiliger Schrein, erweist sich dann aber als unorthodoxes Sammelsurium an Kosmetika in Liliputaner-Größen. In drei Fächern reihen sich Bodylotions, Shampoos und Duschgels unterschiedlichster Firmen und Hotelketten eng nebeneinander. Hotels? Empfängt er auch dort Kunden? Die Proben sehen nicht nach Billigabsteigen aus, sogar ein südfranzösisches Label ist dabei, von dem Mama sündhaft teure Seifen für das Gästeklo ersteht. Geschenke von seinen »Freundinnen«? Dennoch beruhigt es mich, dass Körperpflege in diesem Hause großgeschrieben wird und er bei Parfums eine gesunde Neugier zeigt. Es finden sich gleich vier elegante Flakons, von denen mir nur zwei schon einmal in Magazinen begegnet sind. Die anderen machen einen hochwertigen und exklusiven Eindruck, doch ich wage nicht, daran zu riechen. Selbst anfassen möchte ich die glitzernden Flakons nicht oder mir gar ihre Namen merken. Die Gefahr wäre zu hoch, dass ich morgen in den nächsten Douglas renne und mir Proben davon mitgeben lasse, um ihn auch zu Hause schnuppern zu können – und niemals riecht ein Parfum auf einem Pappstreifen so füllig wie auf echter Menschen- und Männerhaut. Ansonsten präsentiert sich mir das Übliche, was Männer sich so zulegen, wenn sie nicht wie ein Gorilla herumlaufen möchten: Deodorants, Rasierschaum, Rasierklingen, Haargel, Maniküreutensilien – aber auch hier: keine Kondome. Vorsichtig lasse ich die Türen wieder zugleiten, bevor die Stille auffällig wird, und drehe die Dusche auf.
Es ist wunderbar, das heiße Wasser auf meine durchgefrorene Haut rieseln zu lassen, aber ich kann mich kaum darauf konzentrieren, weil nur ein Gedanke meinen Kopf beherrscht: Ich stehe bei River unter der Dusche – jenem Typen, vor dem Jonas mich in der Weihnachtsnacht so beflissen gewarnt hat. Es würde mich nicht wundern, wenn ich aufwachte, sobald ich unter dem Wasser hervortrete, denn eigentlich kann das nur ein Traum sein. Doch ich bleibe bei Bewusstsein und stehe zwar etwas kafkaesk, aber frappierend real in einem kleinen Männerbadezimmer, zu meinen Füßen ein Bündel klitschnasser Joggingklamotten, und frage mich, was ich mich längst hätte fragen sollen: Was ziehe ich jetzt eigentlich an?
Hier hängt kein Bademantel und das einzige große Handtuch ist zu klein, um es mir umzulegen. Alles, was ich
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