Vor Vampiren wird gewarnt
Freude und fuhr mit ihm zu McDonald's. Sein Vater hatte Fast Food nicht ausdrücklich verboten, und ein Besuch würde schon nicht schaden, dachte ich.
Hunter liebte sein Happy Meal und ließ das Spielzeugauto so lange zwischen uns über die Tischplatte sausen, bis ich es absolut satthatte. Dann wollte er in den Spielbereich. Ich saß auf einer Bank, sah ihm zu und hoffte, er würde wenigstens noch weitere zehn Minuten Freude an den Tunneln und Rutschen haben, als eine Frau mit einem kleinen Jungen in Hunters Alter im Schlepptau in den abgegrenzten Bereich hereinkam. Obwohl ich ein unheilschwangeres Dröhnen quasi wie von Basstrommeln wahrnahm, lächelte ich einfach immer weiter und hoffte auf das Beste.
Die beiden Jungen musterten sich ein paar Augenblicke misstrauisch. Doch dann begannen sie, kreischend zusammen durch den kleinen Spielbereich zu toben, und ich entspannte mich, blieb aber wachsam. Ich riskierte es, der Mutter ein Lächeln zuzuwerfen. Aber sie grübelte vor sich hin. Ich musste nicht erst ihre Gedanken lesen, um zu wissen, dass sie einen schlechten Vormittag gehabt hatte. (Ihr Wäschetrockner war kaputtgegangen, und einen neuen würde sie sich frühestens in zwei Monaten leisten können.)
»Ist das Ihr Jüngster?«, fragte ich und versuchte, fröhlich und interessiert zu wirken.
»Ja, der Jüngste von vier Jungs«, sagte sie, was ihre Verzweiflung über den Wäschetrockner erklärte. »Die andern drei sind alle beim Baseballtraining der Little League. Aber bald sind Sommerferien, und dann hocken sie drei Monate lang nur zu Hause.«
Oh. Jetzt fehlten mir glatt die Worte.
Meine widerwillige Gefährtin versank wieder in ihre düsteren Gedanken, und ich tat mein Bestes, mich dort herauszuhalten. Doch es war ein regelrechter Kampf, denn sie war wie ein schwarzes Loch, das unglückliche Gedanken ansog und mich gleich mit zu verschlucken drohte.
Da blieb plötzlich Hunter vor ihr stehen und sah sie mit offenstehendem Mund fasziniert an.
»Hallo«, sagte die Frau, womit sie sich schon richtig Mühe gegeben hatte.
»Willst du wirklich weglaufen?«, fragte Hunter.
Das war definitiv einer jener Momente, in denen man nur noch »Oh, Mist!« rufen konnte. »Hunter, wir müssen gehen«, sagte ich rasch. »Komm, los jetzt. Wir sind schon zu spät dran!« Ich nahm Hunter auf den Arm und trug ihn weg, obwohl er sich protestierend wand (und außerdem viel schwerer war, als er aussah). Einmal trat er mir sogar so heftig gegen den Oberschenkel, dass ich ihn fast fallen ließ.
Die Mutter starrte uns aus dem Spielbereich hinterher, jetzt stand ihr der Mund offen. Ihr kleiner Sohn hatte sich zu ihr gesellt, verwirrt über den plötzlichen Aufbruch seines Spielkameraden.
»Es war so schön«, schrie Hunter. »Warum gehen wir schon?«
Ich sah ihm direkt in die Augen. »Hunter, du bist jetzt still, bis wir im Auto sind«, sagte ich und meinte jedes Wort genau so. Als ich den schreienden Jungen durch das Schnellrestaurant trug, hatten sich aller Augen auf uns gerichtet, und diese Aufmerksamkeit gefiel mir gar nicht. Außerdem hatte ich einige Leute bemerkt, die ich kannte und die mir sicher irgendwann blöde Fragen stellen würden. Das war zwar nicht Hunters Fehler, aber es machte mich auch nicht gerade freundlicher.
Als ich ihn anschnallte, sah ich, dass Hunter total müde und völlig überdreht war. So weit hätte ich es gar nicht erst kommen lassen dürfen, sagte ich mir. Ich konnte quasi fühlen, wie sein kleines Hirn hin und her wackelte.
Hunter sah mich an, als hätte ich ihm das Herz gebrochen. »Es war so schön«, wiederholte er. »Der Junge war mein Freund.«
Ich drehte mich zu ihm, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Hunter, du hast etwas zu seiner Mom gesagt, woran sie erkennen kann, dass du anders bist.«
Er war schon vernünftig genug, um einzusehen, dass ich die Wahrheit sagte. »Sie war richtig böse«, murmelte er. »Moms lassen ihre Kinder allein.«
Seine eigene Mutter hatte ihn allein gelassen.
Ich dachte einen Augenblick lang nach, was ich darauf sagen sollte, beschloss dann aber, auf dieses dunkle Thema nicht weiter einzugehen. Hadley hatte Remy und Hunter verlassen, und jetzt war sie tot und würde nie wiederkommen. Das waren Tatsachen. Und es gab nichts, was ich daran ändern konnte. Remy wollte, dass ich Hunter dabei half, den Rest seines Leben gut zurechtzukommen.
»Hunter, es ist nicht leicht. Ich weiß. Ich habe das Gleiche durchgemacht. Du konntest hören, was diese Mom gedacht hat und
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