Vor Vampiren wird gewarnt
während er aß. Hunter wurde nach der Hälfte des Films (den er natürlich schon kannte) langweilig, und so brachte ich ihm »Mensch ärgere dich nicht« bei. Er gewann die erste Runde.
Als wir mitten in der zweiten Runde waren, klopfte es. »Daddy!«, rief Hunter und rannte zur Tür. Noch ehe ich ihn aufhalten konnte, hatte er sie aufgerissen. Ich war froh, dass er schon gewusst hatte, wer gekommen war, denn einen Moment lang hatte ich ein ungutes Gefühl gehabt. Doch da stand Remy in weißem Hemd, Anzughosen und polierten Schnürschuhen und wirkte wie ein völlig anderer Mann. Er lächelte Hunter an, als hätte er seinen Sohn seit Tagen nicht gesehen. Im Nu hatte er den Jungen auf dem Arm.
Es war herzerwärmend. Sie umarmten einander ganz fest. Ich bekam einen Kloß im Hals.
Im nächsten Augenblick erzählte Hunter seinem Vater schon von »Mensch ärgere dich nicht« und von McDonald's und von Claude, und Remy hörte sich alles mit ungeteilter Aufmerksamkeit an. Er lächelte mir kurz zu, um mich wissen zu lassen, dass er mich begrüßen werde, sobald dieser Strom an Informationen etwas nachließ.
»Hunter, willst du nicht deine Sachen einpacken gehen? Aber vergiss nichts«, sagte Remy schließlich zu seinem Sohn. Mit einem kurzen Lächeln in meine Richtung flitzte Hunter quer durchs Haus in sein Zimmer.
»War alles okay?«, fragte Remy, als Hunter außer Hörweite war. In gewisser Weise war Hunter ja nie außer Hörweite, aber besser ging es eben nicht.
»Ja, ich finde schon. Er war sehr lieb«, erwiderte ich, denn ich hatte beschlossen, den Tritt für mich zu behalten. »Nur im Spielbereich bei McDonald's hatten wir ein kleines Problem. Aber ich glaube, darüber haben wir uns danach gut unterhalten.«
Remy wirkte, als wäre ihm soeben eine neue Last auf die Schultern geladen worden. »Das tut mir leid«, erwiderte er, und ich hätte mir - tja, einen Tritt versetzen können.
»Nicht doch, es ging um nichts Weltbewegendes, eigentlich um genau das, wobei ich ihm helfen kann. Und deshalb haben Sie ihn doch zu mir gebracht«, sagte ich. »Machen Sie sich keine Sorgen. Mein Cousin Claude war auch hier und hat mit Hunter im Park gespielt - aber ich war natürlich die ganze Zeit dabei.« Ich wollte nicht, dass Remy den Eindruck bekam, ich hätte Hunter an irgendeinen älteren Verwandten abgeschoben. Was könnte ich dem besorgten Vater denn noch erzählen, überlegte ich. »Er hat richtig viel gegessen und sehr gut geschlafen. Wenn auch nicht besonders lange«, fügte ich hinzu, und Remy lachte.
»Das kenne ich zur Genüge«, erwiderte er.
Ich wollte Remy eigentlich auch noch erzählen, dass Eric im Wandschrank schlief und Hunter ihn kurz gesehen hatte, doch mich beschlich das undeutliche Gefühl, dass Eric dann doch zu viel des Guten wäre. Ich hatte bereits von Claude gesprochen, und Remy schien schon davon nicht so furchtbar begeistert gewesen zu sein. Die typische Reaktion eines Vaters vermutlich.
»Ist auf der Beerdigung alles gut gegangen? Keine Pannen in letzter Minute?« Man weiß nie, wie man sich über Beerdigungen unterhalten soll.
»Keiner hat sich ins Grab geworfen oder ist in Ohnmacht gefallen«, sagte Remy. »Mehr kann man wohl nicht erwarten. Nur etwas Geplänkel über einen Esstisch, den die Kinder der Toten am liebsten sofort in ihre Pick-ups geladen hätten.«
Ich nickte. Über die Jahre hatte ich eine Menge düstere Gedanken über Erbstreitigkeiten gehört, und ich hatte meine eigenen Probleme mit Jason gehabt, als unsere Großmutter starb. »Die Leute zeigen sich nicht unbedingt von ihrer nettesten Seite, wenn es darum geht, einen Haushalt aufzulösen.«
Ich bot Remy einen Drink an, doch er lehnte lächelnd ab. Offenbar wollte er gern allein sein mit seinem Sohn, und er löcherte mich noch mit Fragen nach Hunters Manieren, die ich nur loben konnte, und nach seinem Essverhalten, das ich auch nur bewundern konnte. Hunter war kein mäkeliges Kind, und das war einiges wert.
Nach einigen Minuten kam Hunter tatsächlich mit fast all seinen Sachen ins Wohnzimmer zurück. Ich machte rasch noch einen Kontrollgang und fand zwei Duplos, die er übersehen hatte. Und da ihm >Taps, der Tollpatsch< so sehr gefallen hatte, steckte ich ihm das Buch in den Rucksack. Daran hatte er sicher auch zu Hause noch seine Freude. Nach ein paar weiteren Dankeschöns und einer ganz unerwarteten Umarmung von Hunter machten die beiden sich auf den Weg.
Ich sah Remys altem Pick-up hinterher, als er die Auffahrt
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