Vor Vampiren wird gewarnt
hast es dann laut ausgesprochen.«
»Aber sie hat es gesagt! In ihrem Kopf!«
»Aber nicht laut.«
»Sie hat es aber gesagt .«
»In ihrem Kopf.« Jetzt war er einfach nur dickköpfig. »Hunter, du bist noch sehr jung. Aber damit dein Leben leichter wird, musst du zuerst nachdenken, bevor du redest.«
Hunters Augen waren ganz groß und randvoll mit Tränen.
»Du musst nachdenken, und du musst im Zweifelsfall den Mund halten.«
Zwei große Tränen kullerten ihm über die geröteten Wangen. Ojemine.
»Du darfst den Leuten keine Fragen stellen über das, was du aus ihren Gedanken weißt. Erinnerst du dich noch daran, dass wir über Privatsphäre gesprochen haben?«
Er nickte einmal unsicher, und dann noch mal energischer. Er erinnerte sich.
»Die Leute - Erwachsene und Kinder - werden richtig böse auf dich, wenn sie merken, dass du ihre Gedanken lesen kannst. Denn all die Gedanken in ihrem Kopf sind privat. Du willst doch bestimmt auch nicht, dass dir jemand sagt, du denkst gerade daran, wie nötig du aufs Klo musst.«
Hunter starrte mich finster an.
»Na siehst du. Das ist kein schönes Gefühl, oder?«
»Nein«, gab er widerwillig zu.
»Ich möchte, dass du so normal wie möglich aufwächst«, sagte ich. »Mit dieser Fähigkeit aufzuwachsen ist nicht einfach. Kennst du denn irgendwelche Kinder mit Problemen, die jeder sehen kann?«
Nach einem Augenblick nickte er. »Jenny Vasco. Sie hat einen großen Fleck im Gesicht.«
»Es ist genau das Gleiche, nur dass du deinen Unterschied verstecken kannst, und Jenny nicht«, erklärte ich. Jenny Vasco tat mir leid. Außerdem schien es falsch, einem kleinen Jungen beizubringen, dass er verschlossen und verschwiegen sein sollte. Doch die Welt war nicht reif für einen gedankenlesenden Fünfjährigen und würde es vermutlich auch nie sein.
Ich fühlte mich wie eine fiese alte Hexe, als ich sein unglückliches und tränenüberströmtes Gesicht sah. »Wir fahren jetzt nach Hause, und ich lese dir eine Geschichte vor.«
»Bist du böse auf mich, Tante Sookie?«, fragte er mit einem unterdrückten Schluchzen.
»Nein«, sagte ich. Obwohl ich es gar nicht mag, getreten zu werden, fügte ich in Gedanken hinzu. Und da er das nun schon wusste, erklärte ich es ihm besser noch einmal. »Ich mag es nicht, wenn man mich tritt, Hunter, aber ich bin nicht böse auf dich. Ich bin nur böse auf den Rest der Welt, weil das alles so schwierig ist für dich.«
Während der Heimfahrt schwieg er. Zu Hause angekommen, verschwand er erst einmal im Badezimmer, bevor wir uns mit einem Stapel Bücher aufs Sofa setzten. Hunter schlief ein, noch ehe ich >Taps, der Tollpatsch< zu Ende vorgelesen hatte. Vorsichtig legte ich ihn bequem hin, zog ihm die Schuhe aus und griff dann nach meinem eigenen Buch. Ich las, während er einen Mittagsschlaf hielt. Ab und zu stand ich auf, um irgendeine kleine Aufgabe zu erledigen. Hunter schlief fast zwei Stunden lang, eine Zeit, die ich als unglaublich friedvoll empfand, aber vielleicht langweilig gefunden hätte, wenn Hunter nicht den ganzen Tag um mich gewesen wäre.
Nachdem ich die Waschmaschine angestellt hatte, schlich ich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer zurück und betrachtete den schlafenden Jungen. Würde mein Kind, wenn ich ein Baby bekäme, dieselben Probleme haben wie Hunter? Ich hoffte nicht. Natürlich, wenn Eric und ich zusammenblieben, würde ich nie ein Baby bekommen, es sei denn durch künstliche Befruchtung. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ich Eric fragte, was er davon hielte, wenn ich von einem Fremden schwanger würde - und musste, auch wenn's peinlich ist, es zuzugeben, ein Kichern unterdrücken.
Eric war in mancher Hinsicht sehr modern. Er schätzte die Vorzüge seines Handys, er liebte automatische Garagenöffner und sah gern die Nachrichten im Fernsehen. Aber künstliche Befruchtung... das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich kannte sein vernichtendes Urteil in puncto Schönheitsoperationen und hatte ganz stark das Gefühl, dass diese Sache für ihn in dieselbe Kategorie fiel.
»Worüber lachst du, Tante Sookie?«, fragte Hunter plötzlich.
»Ach nichts«, erwiderte ich. »Wie wär's denn jetzt mit ein paar Apfelschnitzen und einem Glas Milch?«
»Kein Eis?«
»Na, du hattest zum Lunch Hamburger, Pommes frites und Coke. Ich glaube, jetzt sind mal wieder Apfelschnitze dran.«
Ich ließ >Der König der Löwen< laufen, während ich Hunters Snack zubereitete, und er blieb vor dem Fernseher auf dem Fußboden sitzen,
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