Vor Vampiren wird gewarnt
dieses Selbstmitleid verbot ich mir sofort wieder.
»Ist doch alles okay so weit«, sagte ich laut zu meinem Spiegelbild, damit ich es auch glaubte. »Sieh dich an! Tolle Sonnenbräune, Sook!« Ich musste zur Lunch-Schicht in die Arbeit, also zog ich mich gleich nach dem Frühstück an. Dann holte ich die geklaute CD unter den Handtüchern hervor. Entweder du gibst sie Bill zurück oder du bezahlst sie, sagte ich mir tugendhaft. Sie war doch eigentlich gar nicht richtig geklaut, wenn ich vorhatte, sie zu bezahlen ... irgendwann. Ich sah auf die Plastikhülle in meinen Händen und fragte mich, was das FBI dafür wohl bezahlen würde. Trotz aller Bemühungen von Bill, die CD auf jeden Fall nur an Vampire zu verkaufen, wäre es jedoch sehr verwunderlich gewesen, wenn nicht auch andere Leute sie besäßen.
Ich nahm die CD heraus und schob sie in meinen Computer. Erst surrte es, dann ging ein Fenster auf dem Bildschirm auf. »Das Vampir-Verzeichnis« stand da in roten Gothic-Lettern auf schwarzem Hintergrund. Na, wenn das kein Klischee ist!
»Geben Sie Ihren Code ein«, forderte jetzt ein Schriftzug auf dem Bildschirm.
Oh, oh.
Dann erinnerte ich mich, dass auf der Hülle vorne einkleiner Post-it-Zettel geklebt hatte, und ich fischte ihn aus dem Papierkorb. Ja, das war garantiert der Code. Bill hätte die Zugangsnummer nie zusammen mit der CD aufbewahrt, wenn er sein Haus nicht für sicher gehalten hätte. Bei dem Gedanken plagten mich wieder Schuldgefühle. Ich hatte keine Ahnung, wie Bill vorging, aber vermutlich übertrug er den gültigen Code aus einer Liste auf die CD, bevor er sie dem glücklichen Käufer schickte. Vielleicht klebte er aber manchmal auch Lösch-Codes drauf für Idioten wie mich, und das Ganze würde mir um die Ohren fliegen. Zum Glück war sonst keiner zu Hause, als ich den Code eingab und die Enter-Taste drückte, denn ich war tatsächlich unter dem Tisch in Deckung gegangen.
Doch nichts passierte. Es surrte nur wieder. Dann ist wohl alles okay, dachte ich und setzte mich wieder auf meinen Stuhl.
Auf dem Bildschirm waren mehrere Optionen erschienen. Es war möglich, nach Wohnort, Herkunftsland, Name oder letzter Sichtung sortiert zu suchen. Ich klickte »Wohnort« an und wurde gefragt: »In welchem Land?« Aus einer langen Liste konnte ich mir eins aussuchen. Nachdem ich USA angeklickt hatte, kam die nächste Frage: »In welchem Bundesstaat?« Und wieder eine Liste. Ich wählte »Louisiana« aus, dann »Compton«. Und da war er, mit einem aktuellen Foto, aufgenommen in seinem eigenen Haus, das erkannte ich an der Wandfarbe. Bill lächelte ziemlich steif. Wie ein Partylöwe sah er auf dem Foto ja nicht gerade aus, und ich fragte mich, wie er wohl bei einer dieser Kontaktbörsen im Web rüberkommen würde. Dann begann ich seine Kurzbiografie zu lesen. Und tatsächlich, da unten stand es: »Erschaffen von Lorena Ball aus Louisiana, 1870.«
Doch es gab keine Liste mit »Brüdern« oder »Schwestern«.
Okay, ganz so einfach würde es also nicht werden. Ich klickte auf den fettgeschriebenen Namen von Bills Schöpferin, der endgültig verstorbenen und so gar nicht betrauerten Lorena. Mal sehen, was in dem Eintrag über sie stand, da sie den endgültigen Tod gestorben war; zumindest solange es nicht gelang, Vampirasche wiederzubeleben.
»Lorena Ball«, las ich. Von ihr gab es nur ein gemaltes Porträt, auf dem sie aber ganz gut getroffen war, wie ich fand, als ich es mit nachdenklich geneigtem Kopf betrachtete. Zur Vampirin geworden 1788 in New Orleans... lebte an verschiedenen Orten im Süden... kehrte nach dem Bürgerkrieg nach Louisiana zurück ... hatte »die Sonne gesehen«, ermordet von »unbekanntem« Täter oder Tätern. Hm. Bill wusste sehr genau, wer Lorena ermordet hatte, und ich konnte nur von Glück sagen, dass er meinen Namen nicht in dieses Verzeichnis aufgenommen hatte. Ich wagte kaum darüber nachzudenken, was mir zugestoßen wäre, wenn er es getan hätte. Tja, da meint man, man hätte schon genug Probleme, und dann fällt einem etwas auf, woran man noch nie gedacht hat, und schon erkennt man, dass man sogar noch mehr Probleme hat.
Okay, weiter im Text... »Erschuf Bill Compton (1870) und Judith Vardamon (1902).«
Judith. Das also war Bills »Schwester«.
Nachdem ich mich noch ein bisschen durch das Verzeichnis geklickt hatte, fand ich heraus, dass Judith Vardamon noch »am Leben« war; zumindest war sie das zu dem Zeitpunkt gewesen, als Bill die Datenbank erstellt hatte. Sie
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