Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)
ausschritten.
Hätte Dr. Clark Herrn Utterson gefragt, ob er an der Reise teilnehmen wolle, so hätte er zweifellos auch Herrn Enfield fragen müssen.
Utterson war seinerzeit durch Louis in eine fatale Geschichte verwickelt gewesen, die auch Enfield berührt hatte.
War es nur die abweisende Art von Utterson, die Dr. Clark zögern ließ? Oder glaubte er, Utterson werde vielleicht nicht gerne an diese Geschichte erinnert. Dr. Clark konnte sich darüber nicht klarwerden.
Aber Dr. Clark wollte unbedingt Louis’ Cousin Bob dabeihaben. Er kannte Bobs Kunstkritiken aus der Pall Mall Gazette und schickte die Einladung zur Schiffsreise an die Adresse der Redaktion. Bobs Antwort kam vom Department für Kunstgeschichte am University College Liverpool: Eine großartige Idee sei das. Louis wiederzusehen scheue er keine Mühe. Er wolle nur seine Frau Harriet davon überzeugen, daß sie sich eine Weile alleinfühlen müsse. Urlaub vom College werde er bekommen. «Haben Sie auch an Charles Baxter gedacht? Ohne Baxter ist die Runde nicht komplett. Er ist Richter, aber er wird es verschmerzen, eine Zeitlang keine Verbrechervisagen zu sehen. Baxters Adresse anbei.»
Charles Baxter antwortete postwendend. Es verstehe sich von selbst, daß er Louis sehen wolle. Die Gelegenheit komme wie gerufen. «Fragen Sie auch den alten Freund und ‹Seebären› Walter Simpson, korrekt gesagt: Sir Walter Simpson, der ’78 mit Louis eine Kanufahrt bestanden hat von Antwerpen bis in die Oise.»
Von Sir Walter Simpson kam keine Antwort. Dr. Clark fragte sich, ob er einen Fehler begangen hatte. Hielt Simpson die Einladung für einen Scherz? Oder war er gar krank?
Beim Anblick der «Arend» verschlug es Dr. Clark die Sprache. Das alte Schiff – ein Schmuckstück. Kapitän Koster hatte offensichtlich alle Mühe darauf verwendet, die «Arend» aufs beste instandsetzen und ausrüsten zu lassen.
Kapitän Koster empfing Dr. Clark und wies mit kaum verhohlener Zufriedenheit auf das Deck. «Admiral Roggeveen hätte seine Freude an seinem Schiff. Ich habe zehn Kammern für die Gäste eingerichtet, und ich hoffe, daß es an nichts mangeln wird. Sie und die Gäste speisen in der Offiziersmesse.»
«Wir werden zusammen mit Behrens sechs sein», sagte Dr. Clark, «nämlich Frau Cunningham …»
«Eine Frau? Auf dieser langen und beschwerlichen Reise?»
«Sie ist von altem Schrot und Korn, Herr Kapitän. Dann: ein Cousin meines fernen Freundes, außerdem Herr Baxter und schließlich Herr Hammerton.»
Als nächster traf Behrens in Amsterdam ein, Kapitän Koster begrüßte ihn für seine Verhältnisse überaus herzlich. «Mein alter Milizkommandeur von damals! Aber diesmal sind Sie Passagier und können die Reise genießen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihre Kammer. Danach können Sie sich in aller Ruhe das Schiff ansehen, die Mannschaft inspizieren und die Kanonen. Natürlich alles als Privatmann!»
Kapitän Koster hatte die «Arend» mit 111 Mann Besatzung ausgerüstet und mit 36 Kanonen bestückt, genau wie bei der Fahrt damals. Behrens war beeindruckt. Er fühlte sich natürlich an früher erinnert, konnte es aber schätzen, daß er diesmal keine Verantwortung als Offizier tragen mußte.
Zu Dr. Clark sagte Behrens, er sei froh, daß Kapitän Koster das Schiff ausreichend gegen Angriffe gewappnet habe.
«Angriffe?» Dr. Clark stutzte.
Aber da war Behrens schon weiter. Er interessierte sich jetzt für die Beiboote.
Am Tag darauf gegen 11 Uhr wurde Dr. Clark durch einen Matrosen zu Kapitän Koster gerufen. Koster stand da mit einer älteren Frau, die Dr. Clark aus der Entfernung als Frau Cunningham erkannte. Sie gestikulierte heftig und redete auf Koster ein. Dr. Clark hatte die beiden noch nicht erreicht, als er Frau Cunningham schon sagen hörte: «Auf diesem Seelenverkäufer soll ich über das Meer zu meinem Louis gelangen?»
Dr. Clark trat hinzu, und Kapitän Koster hob hilflos die Hände.
«Da sind Sie ja endlich!», sagte Frau Cunningham zu Dr. Clark. «Sie haben mir nichts davon gesagt, daß das Schiff so ein Pott ist, der bei dem nächsten Wind auseinanderfällt. Und vom Segeln war auch nicht die Rede. Wie lange soll denn das dauern, wenn Windstille herrscht …»
«Wenigstens fällt der Kasten bei Windstille nicht auseinander», sagte Dr. Clark. «Aber im Ernst: Beruhigen Sie sich doch bitte, Frau Cunningham …»
«Ich beruhige mich, wann ich will. Jedenfalls
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