Vorerst gescheitert – Wie Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Fall und seine Zukunft sieht
dazu entschlossen, die entführten Tanklastwagen »sowie die an den Fahrzeugen befindlichen INS durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten«. INS steht in der Militärsprache für »Insurgents«, Aufständische. War das Verb »vernichten« in diesem Zusammenhang angemessen?
Das ist ein außerordentlich hartes Wort. Für den Laien ist es überhart. Im militärischen Jargon ist es nicht unüblich.
Noch einmal zurück in den September 2009, zur Informationspolitik der Bundesregierung. Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat da zunächst erklärt, es lägen ihm keine Erkenntnisse über zivile Opfer vor; die Bundeskanzlerin hat sich in ihrer ersten Stellungnahme am 6. September im Konjunktiv geäußert, |77| sie sagte: »Wenn es zivile Opfer gegeben hat, dann werde ich das natürlich zutiefst bedauern.« Wussten die beiden damals wirklich nicht mehr?
Ich war nicht dabei, ich kann nur mutmaßen, dass das der Informationsstand der damaligen Zeit war.
Der Bundestagswahlkampf befand sich damals in der Endphase. Die Wahrheit über Kundus hätte der Bundesregierung mit Sicherheit nicht genützt.
Für mich als Mitglied der Bundesregierung war es zumindest nicht feststellbar, dass das eine Rolle gespielt hat. Es gab keinen erkennbaren Konnex. Es wäre auch fatal, wenn es den gegeben hätte. Und ich würde es sagen, weil ich mich darüber enorm aufgeregt hätte.
Es gibt dafür nach Ihrer Kenntnis keine Anhaltspunkte?
Nein, zumindest keine erkennbaren. Mein persönlicher Eindruck ist allerdings, dass nicht alles getan wurde, um eine entsprechende Deutung gänzlich unmöglich erscheinen zu lassen.
Wenn Sie auf die Kundus-Affäre zurückblicken: Was war Ihr größter Fehler?
Ich habe die Situation zu Beginn falsch eingeschätzt. Das war ein Fehler, der allerdings nicht nur auf meinem Mist gewachsen ist.
Und Sie haben infolgedessen zu keinem Zeitpunkt eine Notlüge verwendet?
Nein.
Das heißt: Alles, was Sie gesagt haben, wird auch in Zukunft einer Überprüfung standhalten?
|78| Man ist im Untersuchungsausschuss verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Das Ergebnis des Untersuchungsausschusses gibt mir ja letztlich auch Recht.
In letzter Konsequenz trägt der Verteidigungsminister die Verantwortung für den Tod von deutschen Soldaten und von Menschen, die von deutschen Soldaten getötet werden.
Ja, das ist eine Verantwortung, der ich mir in dieser Zeit in jeder Minute bewusst war. Es gibt keine Phase meines Lebens, in der ich kontinuierlich so angespannt war. Stellen Sie sich vor, Sie tragen Verantwortung für mehr als 300.000 Soldaten und zivile Mitarbeiter. Sie wissen nie, was Ihren Anvertrauten im nächsten Augenblick passieren kann. Jederzeit kann sich die Tür öffnen oder Sie eine SMS erreichen mit einer Todesnachricht. Das ist eine sehr eigene Form von Einsamkeit. Es hat mich zutiefst beschäftigt, zumal Sie diese Verantwortung nicht delegieren können und dürfen.
Es gibt zahlreiche Berichte über Angehörige deutscher und afghanischer Kriegsopfer. Wenn Sie vom Leid der Betroffenen hörten – sind Ihnen dann nie Zweifel gekommen, ob der Einsatz wirklich legitimierbar ist?
Das Leid der Betroffenen wird mich bis an mein Lebensende begleiten. Aber so schwierig es ist, es muss trotzdem immer der Versuch unternommen werden, den Einsatz zu legitimieren. Die Angehörigen wollen wissen, wofür ihr Kind, Vater oder ihre Mutter gestorben ist.
Was haben Sie den Angehörigen dann gesagt?
Es reicht bestimmt nicht aus, sich gegenüber einer weinenden Witwe eines Gefallenen auf eine UN O-Resolution oder eine Rechtsgrundlage zu berufen. Recht |79| könnte gefühlskälter kaum sein. Man muss sich unbedingt die Mühe machen, die Realitäten vor Ort zu begreifen und immer wieder überprüfen, ob es sinnvoll ist, was man da tut. Denn manche Frage, die die Soldaten bewegt, erreicht die Heimat ja gar nicht, die erfahren Sie nur vor Ort. Und wenn ein Soldat fällt, muss es ein Herzensanliegen sein, sich persönlich den Angehörigen zu stellen und nicht nur einen Brief zu schreiben.
Oder nicht zur Trauerfeier zu gehen.
Oder das. Ich habe immer größten Wert darauf gelegt, vor der Trauerfeier das Gespräch mit den Angehörigen zu suchen. Manchmal sind es auch nur eine Umarmung oder auch geteilte Tränen. Diese Begegnungen zählen zu den schwierigsten Momenten meines Lebens, jeder einzelne Fall hat mich zutiefst aufgewühlt. Während meiner Amtszeit sind viele Soldaten in einer relativ kurzen Zeit gefallen oder
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