Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
Verwandte von Devins Vater. Ich sah mir die Familienfotos auf und über dem Kaminsims an: Disney World 82 – kaumlächelnd. Abschluss der Highschool 86 – mit geföhntem Stufenschnitt, der ihm bis auf die Schultern fällt, und dieselben leuchtenden sienafarbenen Augen. Bestimmt waren alle Mädchen in ihn verschossen. Daneben ein Foto von der Hochzeit seiner Schwester, auf dem alle nebeneinanderstehen und distinguiert aussehen. Devin steht neben seinem Vater – der gesund und stolz und eindrucksvoll aussieht –, beide im Smoking. Sie sahen sich sehr ähnlich, auch wenn sein Vater aus etwas rauerem Holz geschnitzt zu sein schien.
Ich sah mir alle Fotos an und langsam dämmerte es mir: Es war keines von Devin dabei. Ich sah tatsächlich
David
, der zwar wie ein Dressman aussah und beliebt war, aber doch so einsam wirkte und auf die Liebe seines Vaters angewiesen war.
Dies war nicht der Mann, mit dem ich das letzte Jahr verbracht hatte. Dies war nicht der Mann, den ich kannte.
Und plötzlich, als ich ihn am anderen Ende des Zimmers mit seinem Onkel Larry sprechen sah, schüchtern, fast verlegen, war es mir überdeutlich:
Er hatte es die ganze Zeit nur vorgetäuscht.
Nun konnte ich ihn sehen – nun konnte ich ihn
wirklich
sehen. Nicht, was er geschrieben hatte. Nicht in der Badewanne. Nun wusste ich es. Und in dem Moment fühlte ich mich deplatziert in seinem Haus mit seiner Familie. Ich fühlte mich wie eine Fremde, wie ein Eindringling, wie ein Voyeur.
»Wie haben David und Sie sich kennengelernt?«, fragte mich Devins Schwester Joannie, als wir Reste in Folie verpackten. Ich erstarrte: Ich war es nicht gewohnt, dass man von ihm als David sprach und hatte mich bemüht, ihn nicht Devin zu nennen, denn sonst hätten sie es gleich herausgefunden. Vielleicht fragten sie sich, ob ich nicht doch eine Klientin wäre (die einen Callboy begleitete). Ich suchte krampfhaft nach einer Antwort, die nicht gelogen war, sondern eher eine Neuinterpretation der Wahrheit.
»Wir haben uns auf einer Cocktailparty kennengelernt und uns angefreundet«, antwortete ich mit leicht bebender Stimme.Ich war mir sicher, sie waren überzeugt, dass ich log – und ich war nicht sicher, ob sie damit so falschlagen.
»Und was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Professorin und Vizedirektorin des Schreibprogramms an der Uni in Brooklyn.«
Wahrscheinlich wusste Joannie nichts über Devins Geschäfte und glaubte, so wie ich es früher getan hatte, dass Professorinnen nicht die Dienste eines Callboys in Anspruch nahmen. Sie beugte sich vor und sagte mit leiser Stimme vertraulich zu mir: »Sie wissen doch wohl, wovon mein Bruder lebt?«
»Ja, ich weiß es.«
»Und damit können Sie leben?«, fragte sie offensichtlich abgeschreckt.
Ich erschrak. »Na ja, ich glaube, ich wäre nicht so tolerant, wenn wir zusammen wären, aber so ist es seine Sache.«
Das klang plausibel.
»Mir wird schlecht davon«, sagte sie ziemlich giftig. »Jemand, der so talentiert ist, und sich so billig verkauft. Wussten Sie, dass er ein Stipendium für Parsons hatte? Haben Sie je seine Gemälde gesehen?«
Nein, ich wusste es nicht. Und dann dämmerte mir, dass einige der Gemälde in seiner Wohnung, die mit
Santino
signiert waren, seine Bilder waren. Warum war ich nie darauf gekommen? Warum hatte er es mir nie gesagt?
Ich hatte das Bedürfnis, ihn zu verteidigen. »Ich dachte, er konnte sich Parsons nicht leisten?«, sagte ich.
Joannies Schwester Rosalyn mischte sich in die Unterhaltung. »Unser Vater war nicht gerade wild darauf, dass er zur Kunstakademie oder nach New York ging. Er hatte immer Angst, David würde schwul werden. In der Beziehung war er nicht gerade modern.«
»Aber sich zu prostituieren? Darauf war Dad auch nicht gerade wild«, wies Joannie sie zurecht.
»Aber Sie müssen ihm doch zugestehen, dass er ein äußerst erfolgreiches Geschäft aufgebaut hat«, sagte ich immer noch nervös. »Und soweit ich weiß – was er mir davon erzählt –, ist er gut darin. Seine Klientinnen scheinen ihn zu schätzen.«
Das überzeugte sie nicht.
»Aber es muss doch etwas anderes für ihn zu tun geben«, sagte Joannie. »Etwas, auf das er stolz sein kann, das nicht so skandalös und erbärmlich ist.«
»Es gibt immer etwas anderes, was wir tun können«, sagte ich. »Wenn wir nur nicht so sehr auf das hören würden, was andere Leute sagen.«
Joannie antwortete nicht. Vielleicht verwirrte sie mein Kommentar. Oder vielleicht war es, weil Devin in
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