Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
direkt neben mir. Ihr langes Haar lockte sich auf den Schultern und rahmte ihr ovales Gesicht ein. Ihre Augen flackerten wie eine Kerze in der Dämmerung einer kalten Kirche. Über ihrem lila V-Ausschnitt-Pullover trug sie eine Jeansjacke. Ich hatte schon immer gefunden, dass ihr der Pullover besonders gut stand, er betonte ihre Brüste, verlängerte den Oberkörper und ließ ihre Augen eher blau als grün, fast indigofarben aussehen.
Ich beobachtete sie auch in meinem Elternhaus, als sie half, die Schüsseln mit der Pasta aus dem Esszimmer in die Küche zu bringen, Papierteller mit Salatresten und angebissenem Brot wegzuwerfen. Tante Maria wollte nicht, dass sie beim Aufräumen half, doch Andi ließ sich nicht abweisen. Sie lächelte schüchtern, als sie Klarsichtfolie auf die Schüsseln wickelte, und ich fragte mich, ob es das Licht vom Küchenfenster war, das ihre Haut leuchten und ihr kastanienfarbenes Haar schimmern ließ. Ich sah ihren Körper genau an – sie ist klein, kurvig und üppig –, als sie sich reckte, um an die Hochschränke zu gelangen und sich geschlagen geben musste. Sie ließ die Sachen auf den Arbeitsflächen stehen, weil sie selbst auf Zehenspitzen nicht an die Schränke herankam. Heilig im Fleisch, mit üppigem Busen, als moderne Erscheinung maskiert: konserviert.
Ich fragte mich: Versuchte sie sich bei meiner Familie einzuschmeicheln? Nein. Sie war ja gar nicht offiziell eingeladen worden. Sie hatte ja noch nicht einmal angerufen – sie war einfach aufgetaucht, sehr zumeiner Überraschung, und hatte mir gesagt, dass sie Christian, dem Rabenaas, die Informationen aus der Nase ziehen musste. Vielleicht war sie bei familiären Zusammenkünften nach einer Beerdigung immer so, eine, die allen gefiel und die das tat, von dem sie glaubte, dass es höflich wäre. Nein, auch nicht. Sie hatte mir Geschichten über Thanksgiving erzählt, als sie sich mit den Jungs Cowboyfilme ansah und die ihr zugedachte Geschlechterrolle zurückwies. Außerdem kannte ich sie besser.
Aber was mich am meisten für sie einnahm, war, als sie sich neben Meredith niederkniete und ihren langen Rock über die Füße zog, die nur noch in Strümpfen steckten. Ich konnte nicht hören, was sie sagten, aber ich sah, wie Meredith Andi voller Vertrauen ansah, ihr Bilder zeigte, und wie Andi sich ganz auf Meredith einließ. Mir wurde bewusst, wie tiefschürfend Meredith war, wie gut sie kommunizierte, wie emotional sie war und dass sie ganz in dieser Welt lebte, an diesem Tag, an dem all diese Menschen sich im Wohnzimmer, in der Küche, im Keller und auf der Veranda versammelten. Andi hatte sich ganz auf Meredith eingelassen und sah die Welt, sah diesen Tag und den Verstorbenen durch die Augen dieser Fünfjährigen, die so viel zu sagen hatte, was so viel weiser war als das, was Joannie zu sagen hatte, die Mom jetzt schon zusetzte, das Haus zum Verkauf anzubieten, solange die Preise noch so hoch waren. Sie hatten sich alle von dem kleinen Mädchen abgewandt, weil sie sie vor dem Schweigen schützen wollten. Kein Wunder, dass Meredith vergaß, dass sie Andi gar nicht kannte. Wahrscheinlich hat sie in Andis Augen dieselbe Gewissheit wie ich gesehen: Augen, die in der Dunkelheit flackern, die Verlorenes finden und Diamanten glanzlos aussehen lassen.
Ich sah mir all das an und musste immer wieder an meinen toten Vater denken, der inzwischen – ungeduldig, wie ich mir vorstellte – darauf wartete, in die Erde neben meine Großeltern und meinen Großonkel gelegt zu werden. Ich dachte an die kalte Nachtluft und fröstelte innerlich. Ich musste mich wieder zu der nächsten Frau ins Bett legen, die – wie ich mir vorstellte, ungeduldig – darauf wartete, dass ich michihrer annahm, sicher, im Voraus geplant und im Voraus bezahlt, und ich hörte die Stimme meines Vaters, mit der er mir im Rhythmus eines Stammestanzes einhämmerte: »Du bist ein guter Sohn. Ich bin stolz, neben dir zu stehen, denn du bist ein Mann, der Mut hat und Respekt und Köpfchen, und der seinem Vater sagen kann, er soll zur Hölle gehen, wenn sich sein Vater irrt.«
»Ich habe dir nie gesagt, du sollst zur Hölle gehen, Dad.« Ich streite mich immer noch mit ihm, sogar jetzt noch, dachte ich. »Und ich habe auch nie gesagt, dass du dich irrst.«
»Ich habe einfach nur gedacht, du könntest so sein wie ich, aber zum Glück bist du keine Schwuchtel geworden oder noch schlimmer – ein verdammter, blutsaugender Rechtsanwalt. Aber um Gottes willen,
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