Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
die Küche kam.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer. Als ich mich unter den übrig gebliebenen Angehörigen umsah, fiel mir ein kleines Mädchen auf dem Teppich in der Zimmerecke auf, das Bilder ausmalte und für die anderen wie unsichtbar schien. War sie die ganze Zeit schon da gewesen? Ich ging zu ihr hinüber und kniete mich neben sie, wobei sich mein langer Rock aufbauschte und einige ihrer fertigen Blätter bedeckte.
»Was malst du denn hier?«
Sie sah zu mir auf, zu der Fremden, die von oben auf sie herabsah. Ohne etwas zu sagen, zeigte sie mir eine Wiese mit Wildblumen.
»Oh … wie hübsch.«
Sie sah mich fragend an.
»Wie heißt du?«, fragte sie mich.
»Andi.«
Sie runzelte die Stirn. »Das ist ein Jungenname.«
Ich lächelte. »Es kann auch ein Mädchenname sein. Aber eigentlich ist es mein Spitzname. In Wirklichkeit heiße ich Andrea. Wie heißt du?«
»Meredith.«
»Deine Mom und dein Dad nennen dich Merry?«
»Nein, Missy.«
»Ah. Also hast du auch einen Spitznamen, so wie ich.«
»Mein Großvater ist tot.«
Ihre ehrliche Direktheit brüskierte und berührte mich zugleich.
»Ich weiß.« Ich bemühte mich um eine ernsthafte Antwort. »Macht dich das traurig?«
»Ja, schon«, sagte sie. Sie zeigte mir eine andere Zeichnung, von Strichmännchen und einem rechteckigen Haus mit einem dreieckigen Dach. »Vielleicht sehe ich ihn nächstes Jahr wieder.« Sie hatte flachsblonde Haare, die ihr bis zur Mitte des Rückens gingen und sich an den Spitzen wellten. Dann fügte sie hinzu: »Dann bin ich schon sechs.«
Ich wollte weinen.
Ich fragte Meredith, ob ich ihr beim Ausmalen helfen könnte, und vertiefte mich völlig ins Malen und in das Gespräch mit ihr. Wir bedeckten den Boden mit Zeichnungen von Blumen, kleinen Hunden und Strichmännchen; wir teilten uns die Stifte und signierten jedes Kunstwerk. Sie signierte eines von meinen für mich und schrieb A-N-D-Y.
»Hey, ihr habt ja genug für eine Ausstellung!« Devins Stimme hinter mir ließ mich zusammenzucken, wie ich es tat, wenn ein Luftballon zerplatzte. Ich wirbelte so schnell herum, dass mein Hals kribbelte. Er stand über mir.
»Mann, hast du mich erschreckt!«, sagte ich. »Wie lange bist du denn schon da?«
»Noch nicht lange«, antwortete er. Er sah mich an wie an dem Tag im MOMA, an dem wir über Maggie und mein Lehrbuch gesprochen hatten. Er sah mich so an wie Sam.
Aus dem Spätnachmittag war schnell Abend geworden und dann Nacht. Ich bestand darauf, dass Devin mit zu mir kamund nicht bei seiner Familie blieb. Er nahm mein Angebot an. Seine Familie versicherte mir, dass ich ihnen jederzeit willkommen sei.
Im Auto waren wir still.
»Bestimmt nervt es dich inzwischen, wenn du immer wieder gefragt wirst, aber geht es dir gut?«
»Ja, einigermaßen«, antwortete er. »Vielen Dank, dass du heute gekommen bist und dass ich bei dir übernachten kann.«
»Kein Problem. Kannst du dir vorstellen, jetzt den ganzen Weg in die Stadt zurückzufahren, und das bei dem Verkehr?«
»Ich meinte es wirklich.« Er streichelte meinen Arm. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie es mir ging, als ich dich heute gesehen habe. Ich hätte heute Abend auf keinen Fall dort bleiben oder zurück in die Stadt fahren können. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel es mir bedeutet, dass du gekommen bist.«
»Tja, wenn Christian nicht gewesen wäre, dann hätte ich nichts davon gewusst. Du hättest es mir sagen sollen. Dann wäre ich auf jeden Fall gekommen.«
»Ich weiß auch nicht, warum ich es dir nicht gesagt habe.«
Als wir bei mir ankamen und uns bettfertig machten, fragte ich ihn, ob er in meinem Bett oder auf der Couch schlafen wollte. Ich war mir nicht sicher, warum ich das tat. Zu meiner Überraschung kroch er mit mir ins Bett; und als ich das Licht löschte, musste ich an die Nacht denken, die ich mit Sam verbracht hatte. Ich lag auf dem Rücken, achtete darauf, nicht an Devin zu kommen, und versuchte einzuschlafen. Da klingelte das Telefon.
Scheiße.
Es war Sam.
Wir hatten uns angewöhnt, uns vor dem Schlafengehen anzurufen, um uns eine gute Nacht zu wünschen. Ich sagte nichts, ich nahm auch nicht das Telefon neben dem Bett ab. Ich ließ es klingeln, bis der Anrufbeantworter im Nebenzimmer ansprang und ich Sams Stimme gedämpft hörte, wobei ich nur
Herzchen
verstand.
»Tut mir leid, Dev«, sagte ich leise.
Er antwortete nicht sofort. Er war so still, dass ich seine Anwesenheit kaum spüren konnte. »Ist schon in Ordnung«, sagte er. »Du
Weitere Kostenlose Bücher