Vorhofflimmern
beschissen!
„Nein“, antwortete ich gepresst. „Mir ist irgendwie…
schlecht. Keine Ahnung, was da los ist.“
Sandras Stimme klang, als wisse sie ganz genau, was mir
fehlte. Allerdings schob sie es wieder meinem Trauma zu. „Ja, dann zieh dich
doch gleich um und geh nach Hause. Die Spätschicht kommt eh bald, solange
schaffe ich das hier schon alleine!“
Obwohl es jetzt eigentlich nicht mehr nötig war, nahm ich
ihren Vorschlag dankend an. Der Konfrontation mit Desiderio hatte ich zwar
nicht entgehen können, aber ich wollte jetzt wirklich nur noch nach Hause.
Außerdem war nicht auszuschließen, dass er sich inzwischen von seiner kleinen
Verletzung erholt hatte und ein zweites Mal das Gespräch mit mir suchte. Das
würde bestimmt noch irgendwann kommen, doch im Moment war ich kaum in der Lage,
mich ihm zu stellen. Wenn es dann mal soweit kommen würde, war nur zu hoffen,
dass ich nicht zufällig ein Skalpell in der Hand hielt.
„Ist Desiderio noch da?“, fragte ich vorsichtig.
„DiCastello? Nein, der ist, glaube ich, zum Umziehen
gegangen. Soll ich ihn holen?“
„Nein!“
Um Gottes Willen!
Weil auf der anderen Seite der Tür irritiertes Schweigen
herrschte, fügte ich noch eilig hinzu: „Nein, ich werde dann noch kurz am
Arztzimmer vorbeigehen.“
„Okay. Und bitte versprich mir, dass du dich krankmeldest,
wenn es dir am Abend noch nicht besser geht.“
„Das wird schon wieder.“
„Trotzdem. Das braucht dir auch nicht peinlich zu sein. Naja,
ich muss wieder. Ruh dich aus, bis bald!“
Es tat mir ehrlich leid, dass ich Sandras Mitleid so
ausnutzen musste, aber in meiner derzeitigen Verfassung war ich zur Arbeit
wirklich nicht zu gebrauchen.
Hastig zog ich mich um und eilte mit gesenktem Blick durch
den Hintereingang, damit niemand mein verheultes Gesicht sehen konnte.
Mein Handy blieb aus. Vorsorglich zog
ich auch noch das Telefonkabel meines Festnetzanschlusses heraus, falls
Desiderio wirklich auf die Idee kommen sollte, mich anzurufen.
Anschließend wickelte ich mich in eine Wolldecke, rollte mich
deprimiert auf meiner Couch zusammen und starrte auf den dunklen Bildschirm
meines Fernsehers. Auf der glatten Scheibe zeigte sich ein wenig verzerrt mein
Spiegelbild. Mein Gesicht war blass und ausdruckslos. Ich sah aus, wie ein
schwerkranker Mensch.
Genauso fühlte ich mich auch.
Desiderio hatte mich krank gemacht, mich zerstört.
Alles um mich herum war grau und trostlos. Nichts ergab mehr
einen Sinn.
Ich war überzeugt, dass ich nie wieder aufrichtig Freude
empfinden würde und nahm dies mit einer dumpfen Gelassenheit hin.
Mir war, als wäre ich alleine. Einsamkeit legte sich wie ein
Schauer auf mich und ließ mich frösteln.
Ich war alleine und würde für immer alleine sein, denn
niemals wieder würde mich jemand so vervollständigen, wie er es getan hatte.
Alles an ihm hatte sich so richtig angefühlt. Er hatte mich
beschützt und für mich gesorgt, wenn auch nur für ein paar Tage. Trotzdem war
ich nie glücklicher gewesen, als an seiner Seite.
Ich vermisste ihn.
Und gleichzeitig hasste ich ihn.
Jahre hatte ich gebraucht, bevor ich auch nur annähernd einen
Mann so nahe an mich gelassen hatte, wie ihn. Und als ich ihm letztendlich vertraut
hatte, rammte er mir das Messer des Betrugs in die Brust.
Mein Körper verkrampfte sich und ich brach abermals in Tränen
der Verzweiflung aus, bis ich kraftlos einschlief.
Ich wachte auf, als Vera lautstark
meine Wohnung betrat.
„Lena?“
Zur Antwort streckte ich meinen Arm nach oben und winkte
matt.
„Ah! Guck, ich hab dir was zum Essen mitgebracht.“ Sie kam zu
mir und stellte eine große Papiertüte auf den Couchtisch. „Chinesisch.
Gebratene Nudeln und gebackene Bananen. Die magst du doch, oder?“
Eigentlich schon, doch heute verursachte der intensive Geruch
nach Fritteuse massive Übelkeit.
„Ich hab keinen Hunger“, murmelte ich und versteckte meine
Nase unter der Decke.
Veras machte ein beleidigtes Gesicht. „Jetzt habe ich es dir
extra geholt.“
„Ja, tut mir leid. Du bist echt lieb, aber mir wird gerade
richtig schlecht.“
„Oh.“ Eilig packte sie die Tüte und brachte sie in die Küche,
bevor noch ein Unglück geschehen konnte. Sie kehrte zurück und setzte sich
neben mich. „Wie geht´s dir?“
Blöde Frage. Wie sah es denn aus? Ich war das blühende Leben,
das erkannte man doch sofort!
„Okay“, seufzte Vera auf meinen erklärenden Blick hin. „Schon
gut. Wenn du dich genauso fühlst,
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