Vorkosigan 01 Die Quaddies von Cay Habitat
seine Sorgfalt erhöhen. Sich auf die Zunge beißen, nur dann reden, wenn er angesprochen wurde. Höflich zu Dr. Yei sein. Zum Teufel, sogar tun, was sie ihm sagte.
Alles andere war inakzeptabel riskant. Da oben im Habitat befanden sich tausend Kinder. So viele, so verschiedene – so junge.
Allein hundert Fünfjährige und hundertundzwanzig Sechsjährige, die in den Krippenmodulen wimmelten und in ihrem gravitationslosen Turnraum spielten. Ein einzelner Mensch konnte auf keinen Fall die Verantwortung übernehmen, das Leben all dieser Kinder wegen einer unsicheren Sache aufs Spiel zu setzen. Das würde alles zerstören. Es wäre unmöglich. Kriminell. Wahnsinnig.
Eine Revolte – wohin konnte sie führen? Niemand war imstande, alle Konsequenzen vorherzusehen. Leo konnte nicht einmal um die nächste Ecke herumsehen. Niemand konnte es. Niemand.
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Sie dockten am Habitat an. Van Atta scheuchte Ciaire und Andy und die Krankenschwester vor sich durch die Luke, während Leo langsam seine Sitzgurte löste.
»O nein«, hörte Leo Van Atta sagen. »Die Schwester wird Andy zur Krippe nehmen. Du wirst wieder in deinen alten Schlafsaal zurückkehren. Das Baby mit nach unten zu nehmen war kriminell unverantwortlich. Es ist klar, daß du völlig ungeeignet bist, für es zu sorgen. Du siehst es nie wieder. Und ich kann dir garantieren, du wirst auch von der Fortpflanzungsliste gestrichen.«
Claires Weinen war so gedämpft, daß es kaum zu hören war.
Leo schloß gequält die Augen. »Gott«, fragte er, »warum ich?«
Er löste seinen letzten Gurt und ließ sich blindlings in seine Zukunft fallen.
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KAPITEL 7
»Leo!« Silver hielt sich mit einer Hand fest und pochte mit den anderen drei sanft und verzweifelt zugleich an die Tür des Schlafraums des Ingenieurs. »Leo, schnell! Wachen Sie auf, helfen Sie uns!« Sie legte ihre Wange an das kalte Plastik und dämpfte die aus ihr hervorbrechenden Schreie zu einem leisen
»Leo?« Sie wagte nicht lauter zu rufen, um nicht andere aufmerksam zu machen.
Endlich öffnete sich seine Tür. Er trug ein rotes T-Shirt und rote Shorts und war barfuß. Sein Schlafsack an der gegenüberliegenden Wand hing offen wie ein leerer Kokon, und sein dünnes sandblondes Haar war zerzaust. »Was, zum Teufel … Silver?« Sein Gesicht war runzelig vom Schlaf, dunkle Ringe umgaben die
Augen, aber sein Blick erfaßte sie sofort.
»Kommen Sie schnell, kommen Sie schnell!«, zischte Silver und packte seine Hand. »Es geht um Ciaire. Sie hat versucht, sich durch eine Luftschleuse hinauszustürzen. Ich habe die Steuerung blockiert. Sie kann die äußere Tür nicht aufmachen, aber ich kann auch die innere Tür nicht öffnen, und sie ist da drinnen eingesperrt.
Unsere Vorgesetzte kommt bald zurück, und dann weiß ich nicht, was man mit uns anstellen wird …«
»Mistkerl …« Er ließ sich von ihr in den Korridor ziehen, dann taumelte er zurück in seine Kabine und holte einen Werkzeuggürtel. »Schon gut, geh, geh, geh voran.«
Sie eilten durch das Labyrinth des Habitats und lächelten gezwungen und höflich den Quaddies und Planetariern zu, an denen sie in den Korridoren vorbeischwebten. Endlich schloß sich die vertraute Tür mit der Aufschrift ›Hydrokultur D‹ hinter ihnen.
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»Was ist geschehen? Wie ist das passiert?«, fragte Leo sie, während sie zwischen den Pflanzrohren hindurch auf das andere Ende des Moduls zustrebten.
»Vorgestern erlaubte man mir nicht, Ciaire zu besuchen, als ihr sie mit dem Shuttle zurückgebracht hattet, obwohl wir beide auf der Krankenstation waren. Gestern waren wir in verschiedenen Teams. Ich denke, das war Absicht. Heute ließ ich Teddie mit mir tauschen.« In Silvers Stimme war ihre Qual zu spüren. »Ciaire sagte, man lasse sie in ihrer schichtfreien Zeit nicht einmal in die Krippe, um Andy zu besuchen. Ich ging in das Lager, um Dünger für die Pflanzrohre zu holen, an denen wir arbeiteten, und als ich zurückkam, begann sich die Schleuse gerade zu aktivieren …«
Wenn sie doch Ciaire bloß nicht allein gelassen hätte – wenn sie vor allem nicht zugelassen hätte, daß die beiden mit dem Shuttle nach unten flogen – wenn sie sie nur nicht wegen Dr. Yeis Drogen verraten hätte – wenn sie bloß als Planetarier zur Welt gekommen wären – oder überhaupt nicht geboren …
Die Luftschleuse am Ende des Hydrokultur-Moduls wurde fast nie benutzt und wartete nur darauf, die luftdichte Tür zum nächsten Modul zu werden, die durch zukünftiges
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