Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
ungelenkig.
»Also, Aral«, sagte der Kaiser. »Sagen Sie mir, wie ich
aussehe.«
»Sehr krank, Sir.«
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Vorbarra lachte leise und hustete. »Erfrischend! Zum ersten Mal seit Wochen, dass ich von jemandem eine ehrliche Meinung gehört habe. Selbst Vortala geht wie eine Katze um den heißen Brei herum.« Seine Stimme schnappte über, und er räusperte sich, um seine Kehle vom Schleim zu befreien.
»Habe in der letzten Woche mein letztes Melanin
weggepinkelt. Dieser verfluchte Doktor lässt mich nicht mehr bei Tageslicht in meinen Garten hinaus.« Er schnaubte – zeigte er damit seine Missbilligung oder rang er nach Atem? »Also das ist Ihre Betanerin, wie? Kommen Sie hierher, junge Frau.«
Cordelia trat an das Bett heran, und der weiße alte Mann
blickte ihr mit seinen aufmerksamen nussbraunen Augen ins
Gesicht. »Oberstleutnant Illyan hat mir von Ihnen erzählt.
Oberst Negri ebenfalls. Ich habe alle Ihre Berichte aus dem Erkundungsdienst gelesen, wissen Sie. Und auch das erstaunliche Fantasieprodukt Ihrer Psychiaterin. Negri wollte sie engagieren, einfach um neue Ideen für seine Abteilung zu finden. Vorkosigan hat mir, da er Vorkosigan ist, viel weniger erzählt.« Er machte eine Pause, als müsste er erst wieder zu Atem kommen. »Sagen Sie mir jetzt ganz offen – was sehen Sie in ihm, einen gescheiterten – ach, wie war noch die Formulierung? – angeheuerten Killer?«
»Aral hat Ihnen etwas erzählt, scheint es«, sagte sie,
überrascht, ihre eigenen Worte aus seinem Mund zu hören. Sie erwiderte seinen Blick mit gleicher Neugier. Seine Frage schien nach einer ehrlichen Antwort zu verlangen, und sie rang um die richtige Formulierung.
»Ich denke – ich sehe mich selbst. Oder jemanden wie mich
selbst. Wir suchen beide dasselbe. Wir benennen es mit
unterschiedlichen Namen und suchen an unterschiedlichen
Orten. Ich glaube, er nennt es Ehre. Ich würde es vielleicht Gottes Gnade nennen. Wir kommen beide mit leeren Händen zurück, meistens.«
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»Ach ja, ich erinnere mich aus Ihrem Dossier, dass Sie eine Art Theistin sind«, sagte der Kaiser. »Ich selbst bin Atheist.
Ein einfacher Glaube, aber ein großer Trost für mich in diesen letzten Tagen.«
»Ja, ich habe seine Anziehungskraft oft selbst gespürt.«
»Hm.« Er lächelte darüber. »Eine sehr interessante Antwort, im Lichte dessen, was Vorkosigan über Sie gesagt hat.«
»Was war das, Sir?«, fragte Cordelia; ihre Neugier war
geweckt.
»Sie müssen ihn dazu bewegen, dass er es Ihnen selber sagt.
Er hat es mir im Vertrauen mitgeteilt. Auch sehr poetisch. Ich war überrascht.« Er winkte sie weg, als sei er befriedigt, und bedeutete Vorkosigan, näher heranzutreten. Vorkosigan stand in einer Art aggressiver Rührteuch-Haltung. Sein Mund war spöttisch verzogen, aber seine Augen, sah Cordelia, waren gerührt.
»Wie lange haben Sie mir gedient, Aral?«, fragte der Kaiser.
»Seit ich Offizier wurde, sechsundzwanzig Jahre. Oder
meinen Sie mit Leib und Blut?«
»Mit Leib und Blut. Ich habe es immer von dem Tag an
gezählt, als das Todeskommando des alten Yuri Ihre Mutter
und Ihren Onkel umgebracht hat. Von jener Nacht an, als Ihr Vater und Prinz Xav zu mir ins Hauptquartier der Grünen Armee kamen, mit ihrem sonderbaren Vorschlag. Tag eins von Yuri Vorbarras Bürgerkrieg. Warum wurde er nie Piotr Vorkosigans Bürgerkrieg genannt, frage ich mich. Ah, nun gut.
Wie alt waren Sie damals?«
»Elf, Sir.«
»Elf. Ich war gerade so alt, wie Sie jetzt sind. Seltsam. Also haben Sie mir mit Leib und Blut gedient seit – verdammt, wissen Sie, dieses Ding fängt jetzt an, mein Gehirn zu beeinträchtigen…«
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»Dreiundreißigjahre, Sir.«
»Richtig! Danke. Nicht mehr viel Zeit übrig.«
Dem zynischen Ausdruck auf Vorkosigans Gesicht konnte
Cordelia entnehmen, dass er nicht im Geringsten von der zur Schau gestellten Senilität des Kaisers überzeugt war.
Der alte Mann räusperte sich wieder. »Ich hatte Sie immer
fragen wollen, was Sie und der alte Yuri zueinander sagten, an jenem Tag zwei Jahre später, als wir ihn in dem alten Schloss niedermetzelten. In letzter Zeit habe ich ein besonderes Interesse für die letzten Worte von Kaisern entwickelt. Graf Vorhalas dachte, Sie hätten mit ihm gespielt.«
Vorkosigan schloss kurz die Augen, in schmerzlicher
Erinnerung. »Kaum. Oh, ich dachte, ich wäre begierig auf den ersten Streich, bis er entblößt und gebunden vor mir stand.
Dann – hatte ich diesen Impuls, plötzlich den
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