Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
Weite.
Sie rappelten sich hoch und stapften weiter durch die
Wälder. Der Barrayaraner versuchte einmal, ihr bei Dubauer mehr zu helfen. Aber Dubauer schrak vor ihm zurück, und angesichts Dubauers Widerstand und seines eigenen bösen Beins scheiterte der Versuch kläglich.
Vorkosigan zog sich in sich selbst zurück und wurde danach weniger gesprächig. Seine ganze Konzentration schien sich darauf zu richten, sich selber gerade immer einen Schritt weiterzubringen, aber auf beunruhigende Weise führte er
gemurmelte Selbstgespräche. Cordelia hatte eine hässliche
Angstvorstellung von Kollaps und Fieberdelirium und keinerlei Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit, seine Rolle zu übernehmen und loyale Mitglieder seiner Mannschaft herauszufinden und zu kontaktieren. Es war offensichtlich, dass ein Fehler in der Beurteilung fatal wäre, und während sie nicht behaupten konnte, dass alle Barrayaraner für sie gleich aussahen, so wurde sie doch wider Willen an das alte Paradoxon erinnert, das mit der Prämisse beginnt: »Alle Kreter sind Lügner.«
Kurz vor Sonnenuntergang kamen sie nach der
Durchquerung eines dichteren Waldstücks plötzlich auf eine Lichtung von erstaunlicher Schönheit. Über schwarze Felsen, die wie Obsidian schimmerten, stürzte in funkelnden Kaskaden ein Wasserfall herab. Im Leuchten der tief stehenden Sonne wirkte das Gras am Flussbett wie durchscheinendes Gold. Die Bäume ringsum, hoch, dunkelgrün und dämmerig, fassten die Lichtung wie eine Gemme ein.
Vorkosigan lehnte sich auf seinen Stock und blickte eine
Weile auf das Bild. Cordelia war, als hätte sie noch nie einen müder aussehenden Menschen gesehen als ihn, aber schließlich hatte sie keinen Spiegel zur Hand.
68
»Wir haben noch etwa fünfzehn Kilometer zu gehen«, sagte
er. »Ich möchte mich dem Versteck nicht im Dunkeln nähern.
Wir werden hier Halt machen für die Nacht, uns ausruhen und es dann am Morgen in Angriff nehmen.«
Sie plumpsten in das weiche Gras und beobachteten
schweigend den großartigen, farbenprächtigen
Sonnenuntergang, wie ein altes Ehepaar, das zu müde war,
aufzustehen und ihn abzuschalten. Schließlich zwang das
nachlassende Licht sie zum Handeln. Sie wuschen Hände und
Gesicht in dem Fluss, und Vorkosigan teilte endlich seine
barrayaranischen Feldrationen unter ihnen auf. Aber selbst nach vier Tagen Hafergrütze und Blaukäsedressing war das eine Enttäuschung.
»Sind Sie sicher, dass dies keine gekochten Stiefel sind?«, fragte Cordelia matt, denn nach Farbe, Geschmack und Geruch hatten die Schnitten beträchtliche Ähnlichkeit mit pulverisiertem Schuhleder, das zu Waffeln gepresst worden war.
Vorkosigan grinste sardonisch. »Sie sind organisch, nahrhaft und halten sich jahrelang – wahrscheinlich haben sie sich wirklich schon jahrelang gehalten.« Cordelia lächelte, den Mund voll mit dem trockenen und zähen Zeug. Sie futterte Dubauer eigenhändig mit seiner Portion – er neigte dazu, sie auszuspucken –, dann wusch sie ihn und bettete ihn für die Nacht. Er hatte an diesem Tag keine Anfälle gehabt, und sie hoffte, dass dies ein Zeichen für eine teilweise Verbesserung seines Zustandes war.
Nach der Hitze des Tages strahlte die Erde immer noch eine angenehme Wärme aus, und der Fluss plätscherte sanft in der Stille. Sie wünschte sich, sie könnte hundert Jahre lang schlafen, wie eine verzauberte Prinzessin. Aber sie stand auf und meldete sich freiwillig für die erste Wache.
69
»Ich glaube, Sie sollten lieber heute nacht extra Schlaf
bekommen«, sagte sie zu Vorkosigan. »In zwei von drei
Nächten hatte ich die kurze Wache. Jetzt sind Sie an der
Reihe.«
»Es besteht keine Notwendigkeit…«, begann er.
»Wenn Sie es morgen nicht schaffen, dann schaffe ich es
auch nicht«, erklärte sie offen. »Und er auch nicht.« Sie zeigte mit dem Daumen auf den ruhenden Dubauer. »Ich möchte dafür sorgen, dass Sie es morgen schaffen.«
Vorkosigan gab nach, nahm eine weitere halbe Schmerzpille
und legte sich dort nieder, wo er saß. Trotzdem blieb er
ruhelos, der Schlaffloh ihn, und er beobachtete sie in der Dunkelheit. Seine Augen schienen fiebrig zu glänzen.
Schließlich stützte er sich auf einem Ellbogen auf, als sie einen Rundgang am Rand der Lichtung entlang beendete und sich mit überkreuzten Beinen auf dem Boden neben ihm niederließ.
»Ich …«, begann er und brach dann ab. »Sie sind nicht so,
wie ich es von einem weiblichen Offizier erwartet habe.«
»Oh? Nun ja, Sie
Weitere Kostenlose Bücher