Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
war. Die ehemaligen Gefangenen verbrachten viel Zeit mit dem Austausch von Geschichten und der Aufarbeitung gemeinsamer Erinnerungen. Cordelia erkannte schnell, dass diese Zusammenkünfte auf subtile Weise von den nicht wenigen Psycho-Offizieren gesteuert wurden, die die
Escobaraner mit dem Schiff mitgeschickt hatten. Nach einer Weile begann ihr Schweigen über ihre eigenen Erfahrungen aufzufallen. Sie lernte die zwanglos wirkenden Techniken zu durchschauen, mit denen die Passagiere zu den nur scheinbar spontanen gruppentherapeutischen Sitzungen zusammengeholt wurden, und machte sich deshalb rar.
Es war nicht genug. Sie entdeckte, dass sie still, aber
unnachgiebig von einer jungen Frau mit strahlendem Gesicht namens Irene verfolgt wurde, und kam zu dem Schluss, dass diese auf ihren Fall angesetzt worden sein musste. Irene tauchte bei den Mahlzeiten auf, in den Korridoren, in den Aufenthaltsräumen, immer mit einem neuen Vorwand, um ein Gespräch zu beginnen. Cordelia ging ihr aus dem Weg, wenn
sie konnte, und wenn sie nicht konnte, dann lenkte sie das Gespräch geschickt oder manchmal auch barsch auf andere Themen.
Nach einer weiteren Woche verschwand das Mädchen
wieder in der Masse, aber eines Tages kehrte Cordelia in ihre Kabine zurück und entdeckte, dass ihre Zimmergefährtin fort war, durch eine andere ersetzt, eine gelassene ältere Frau mit ruhigem Blick. Sie trug Zivilkleidung und gehörte nicht zu den Exgefangenen. Cordelia legte sich niedergeschlagen auf ihr Bett und beobachtete, wie die andere ihre Sachen auspackte.
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»Hallo, ich bin Joan Sprague«, stellte sich die Frau
unbefangen vor.
Jetzt war es Zeit für ein offenes Wort. »Guten Tag, Dr.
Sprague. Habe ich Recht, wenn ich in Ihnen Irenes Vorgesetzte sehe?«
Sprague hielt inne. »Sie haben völlig Recht. Aber ich ziehe es vor, die Dinge auf einer zwanglosen Basis zu belassen.«
»Nein, das tun Sie nicht. Sie ziehen es vor, die Dinge
erscheinen zu lassen, als beruhten sie auf einer zwanglosen Basis. Ich weiss den Unterschied zu erkennen.«
»Sie sind eine sehr interessante Person, Captain Naismith.«
»Na ja, es gibt hier mehr von Ihrer Sorte als von meiner.
Falls ich mich bereit finde, mit Ihnen zu reden, werden Sie dann Ihre übrigen Wachhunde abziehen?«
»Ich bin hier, damit Sie mit mir reden können – aber nur,
wenn Sie dazu bereit sind.«
»Also, fragen Sie mich, was Sie wissen wollen. Bringen
wir's hinter uns, damit wir uns beide entspannen können.« Ich könnte mir dabei ein bisschen Therapie zunutze machen, dachte Cordelia versonnen. Ich fühle mich lausig…
Sprague setzte sich aufs Bett, ein sanftes Lächeln im Gesicht und äußerste Aufmerksamkeit im Blick. »Ich will versuchen Ihnen zu helfen, sich daran zu erinnern, was während der Zeit geschah, als Sie als Gefangene an Bord des barrayaranischen Flaggschiffs waren. Dass Sie das, wie entsetzlich es auch immer war, in Ihr Bewusstsein heben, ist Ihr erster Schritt zur Heilung.«
»Hm, ich glaube, wir haben gegensätzliche Absichten. Ich
erinnere mich an alles, was während dieser Zeit geschah, mit äußerster Klarheit. Ich habe keine Schwierigkeiten, es in mein Bewusstsein zu heben. Ich hätte es jedoch gern aus meinem 234
Bewusstsein raus, wenigstens lange genug, um dann und wann schlafen zu können.«
»Ich verstehe. Fahren Sie fort. Schildern Sie doch einfach mal, was geschehen ist.«
Cordelia gab einen Bericht über die Ereignisse, von dem
Zeitpunkt des Wurmhochsprungs von Kolonie Beta aus bis
nach dem Mord an Vorrutyer, hörte aber vor Vorkosigans
Eintreten auf, wobei sie vage sagte: »Ich versteckte mich ein paar Tage lang an verschiedenen Stellen auf dem Schiff, aber am Ende schnappten sie mich doch und steckten mich wieder in das Schiffsgefängnis.«
»So, so. Sie erinnern sich nicht daran, dass Sie von Admiral Vorrutyer gefoltert oder vergewaltigt wurden, und Sie erinnern sich auch nicht daran, dass Sie ihn getötet haben.«
»Ich wurde nicht gefoltert oder vergewaltigt. Und ich habe ihn nicht getötet. Ich dachte, ich hätte das klargestellt.«
Die Ärztin schüttelte bekümmert den Kopf. »Uns wurde
berichtet, dass Sie zweimal von den Barrayaranern aus dem
Lager weggeholt wurden. Erinnern Sie sich daran, was dabei geschah?«
»Ja, natürlich.«
»Können Sie es schildern?«
Sie weigerte sich. »Nein.« Das Geheimnis der Ermordung
des Prinzen würde den Escobaranern nichts bedeuten – sie
konnten kaum noch mehr Abneigung gegen die
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