Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
Barrayaraner
entwickeln, als sie ohnedies schon hatten –, aber schon das bloße Gerücht von der Wahrheit könnte sich auf die Öffentliche Ordnung von Barrayar verheerend auswirken.
Aufstände, Meuterei beim Militär, der Sturz von Vorkosigans Kaiser – das wären erst die Anfänge der möglichen Folgen.
Wenn es einen Bürgerkrieg auf Barrayar gäbe, könnte
Vorkosigan dabei getötet werden? Gott, bitte, dachte Cordelia, keine Toten mehr…
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Sprague blickte schrecklich interessiert drein. Cordelia kam sich vor, als hätte man sie überfallen. Sie korrigierte sich: »Es ging um einen meiner Offiziere, der während der betarischen Erkundigung dieses Planeten getötet worden war. Sie wissen davon, hoffe ich?« Die Ärztin nickte. »Die Barrayaraner haben auf meine Bitte hin Maßnahmen getroffen, um eine Gedenktafel auf seinem Grab aufzustellen. Das ist alles.«
»Ich verstehe«, seufzte Sprague. »Wir hatten einen anderen Fall wie den Ihren. Das Mädchen wurde auch von Vorrutyer oder einem seiner Männer vergewaltigt, und die barrayaranischen Mediziner haben es vertuscht. Ich nehme an, es ging ihnen darum, seinen Ruf zu schützen.«
»Oh, ich glaube, ich bin ihr begegnet, an Bord des
Flaggschiffs. Sie war auch in meiner Unterkunft, stimmt's?«
Spragues überraschter Blick bestätigte Cordelias Vermutung, obwohl die Ärztin eine kleine vage Geste machte, um auf die Schweigepflicht ihres Berufes hinzuweisen.
»Bei ihr haben Sie Recht«, fuhr Cordelia fort. »Ich bin froh, dass sie bekommt, was sie braucht. Aber bei mir liegen Sie falsch. Sie haben auch nicht Recht, was Vorrutyers Ruf angeht.
Der ganze Grund, warum man diese dumme Geschichte über
mich in Umlauf gebracht hat, war der Gedanke, es würde für ihn noch schlimmer aussehen, wenn er von einer schwachen Frau umgebracht wurde, anstatt von einem seiner eigenen Kampfsoldaten.«
»Die physischen Befunde Ihrer medizinischen Untersuchung
allem genügen schon, um mich diese Schilderung infrage
stellen zu lassen.«
»Welche physischen Befunde?«, fragte Cordelia, einen
Moment lang verdutzt.
»Die Spuren von Folterung«, erwiderte die Ärztin und sah
grimmig, sogar ein bisschen böse drein. Nicht böse auf sie, erkannte Cordelia.
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»Was? Ich bin nie gefoltert worden!«
»Ja doch. Es wurde in Ihrem Bewusstsein ausgezeichnet
verdrängt Das ist empörend – aber die Barrayaraner konnten nicht die physischen Spuren verbergen. Sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie einen gebrochenen Arm hatten, zwei gebrochene Rippen, viele Quetschungen an Hals, Kopf, Händen und Armen – tatsächlich an Ihrem ganzen Körper?
Und Ihre Biochemie – Zeichen von extremem Stress,
sensorischer Deprivation, beträchtlicher Gewichtsverlust,
Schlafstörungen, Adrenalinüberschuss – soll ich
weitermachen?«
»Och«, sagte Cordelia, »das.«
»Och, das«, sagte die Ärztin wie ein Echo und hob die
Augenbrauen.
»Das kann ich erklären«, sagte Cordelia eifrig. Sie lachte erleichtert. »In gewisser Hinsicht kann ich da vermutlich euch Escobaranern die Schuld daran geben. Ich befand mich während des Rückzugs in einer Zelle auf dem Flaggschiff. Es bekam einen Treffer ab – da wurde alles in dem Schiff herumgeschüttelt wie Kies in einer Schachtel, auch ich in meiner Zelle. Dabei habe ich meine Knochenbrüche und so
weiter abbekommen.«
Die Ärztin machte eine Notiz. »Sehr gut. Wirklich sehr gut.
Raffiniert. Aber nicht raffiniert genug – Ihre Knochen wurden bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gebrochen.«
»Oh«, sagte Cordelia. Und wie erkläre ich Bothari, ohne
Vorkosigans Kabine zu erwähnen? ›Ein Freund versuchte mich zu erdrosseln …‹
»Ich möchte gerne«, sagte Dr. Sprague vorsichtig, »dass Sie über die Möglichkeit einer medikamentösen Therapie nachdenken. Die Barrayaraner haben bei Ihnen eine ausgezeichnete Verdrängung erreicht, sogar noch besser als bei der anderen, und bei ihr musste man wirklich sehr tief
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sondieren. Ich denke, bei Ihnen ist es sogar noch notwendiger.
Aber wir brauchen dazu Ihre freiwillige Mitarbeit.«
»Gott sei Dank.« Cordelia legte sich aufs Bett, zog sich ein Kissen übers Gesicht und dachte über eine Therapie mit Drogen nach. Es ließ ihr das Blut gefrieren. Sie fragte sich; wie lange sie eine Tiefensondierung nach nicht vorhandenen Erinnerungen aushielte, bevor sie anfangen würde, welche zu fabrizieren, um dem Verlangen zu entsprechen. Und schlimmer: der allererste Effekt der Sondierung würde
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