Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
Shuttle sank hinab, und Cordelia ging ans Fenster,
begierig auf den ersten Blick auf ihre Heimatstadt. Der
ockerfarbene Dunstschleier teilte sich endlich, und sie gingen in einer schönen Spirale hinab zum Shuttlehafen und rollten zur Andockbucht.
»Es scheinen heute eine Menge Leute da draußen zu sein.«
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»Ja, der Präsident wird eine Rede halten«, sagte die
Stewardess. »Es ist sehr aufregend. Auch wenn ich nicht für ihn gestimmt habe.«
»Steady Freddy hat so viele Leute als Zuhörer für eine seiner Reden zusammengebracht? Macht nichts. Ich kann mich ja in die Menge mischen. Das Ganze wird ein bisschen pompös. Ich glaube, ich wäre heute lieber unsichtbar.«
Sie spürte, wie die Enttäuschung begann, und fragte sich,
wie tief sie wohl gehen würde. Die escobaranische Ärztin hatte zwar nicht mit ihren Fakten Recht gehabt, aber doch mit ihren Prinzipien: Es gab noch eine emotionale Schuld abzutragen, die irgendwo in ihrem Innern verborgen war.
Das Heulen der Motoren erstarb. Cordelia erhob sich und
dankte der lächelnden Stewardess unsicher. »Es wartet doch hoffentlich dort draußen k-kein Empfangskomitee auf mich, oder? Ich glaube wirklich nicht, dass ich damit heute fertig würde.«
»Sie werden Unterstützung erhalten«, beruhigte die
Stewardess sie. »Ah, hier kommt er schon.«
Ein Mann in einem zivilen Sarong betrat der Shuttle und
lächelte breit »Guten Tag, Captain Naismith. Ich bin Philip Gould, Pressesekretär des Präsidenten«, stellte er sich vor.
Cordelia war entgeistert – Pressesekretär war ein
Kabinettsposten. »Es ist mir eine Ehre, Sie zu begrüßen.« Sie kapierte schnell. ›Sie p-planen doch nicht etwa eine Art Hundund-Pony-Show da d-draußen, oder? Ich m-möchte wirklich einfach nach Hause gehen.«
»Nun ja, der Präsident hat vor, eine Rede zu halten. Und er hat eine Kleinigkeit für Sie«, sagte er besänftigend.
»Tatsächlich hofft er, mit Ihnen zusammen einige Reden halten zu können, aber das lässt sich später noch besprechen. Also, wir erwarten zwar nicht, dass die Heldin von Escobar an Lampenfieber leidet, aber wir haben einige Aussagen für Sie 241
vorbereitet. Ich werde die ganze Zeit an Ihrer Seite sein und Ihnen bei den Stichworten und mit den Presseleuten helfen.« Er überreichte ihr einen Handprojektor. »Versuchen Sie überrascht auszusehen, wenn Sie den ersten Schritt aus dem Shuttle tun.«
»Ich bin überrascht.« Sie überflog schnell den Text. »D-das ist ein H-Haufen Lügen!«
Er blickte besorgt drein. »Hatten Sie diesen kleinen
Sprachfehler schon immer?«, fragte er vorsichtig.
»N-nein, er ist mein Souvenir vom escobaranischen Psycho—
Dienst und dem v-vergangenen Krieg. Wie dem auch sei, wer
hat sich diesen B-Blödsinn ausgedacht?« Die Zeile, die ihr besonders aufgefallen war, bezog sich auf den feigen Admiral Vorkosigan und seine Bande von Schlägern. ‹ »Vorkosigan ist der tapferste Mann, den ich je getroffen habe.«
Gould nahm sie fest am Oberarm und führte sie zur Luke des Shuttles. »Wir müssen jetzt gehen, um das Timing des Holovids einzuhalten. Vielleicht können Sie einfach diese Zeile auslassen, okay? Lächeln Sie jetzt!«
»Ich möchte zu meiner Mutter gehen.«
»Sie ist schon beim Präsidenten. Also los.«
Sie traten aus der Lukenröhre in eine wogende Menge von
Männern. Frauen und Geräten. Alle begannen sofort, sie mit Fragen zu bombardieren. Cordelia fing am ganzen Körper zu zittern an, in Wellen, die in ihrer Magengrube begannen und von dort nach allen Seiten ausstrahlten. »Ich kenne überhaupt niemanden von diesen Leuten«, zischte sie Gould zu.
»Gehen Sie weiter«, zischte er mit starrem Lächeln zurück.
Sie bestiegen ein Podium auf dem Balkon, von dem aus man
die Halle des Raumhafens überblicken konnte. Die Halle war voll gepackt mit einer bunten Menge in Festtagsstimmung.
Cordelia nahm alles nur verschwommen wahr. Endlich
erblickte sie ein vertrautes Gesicht, ihre Mutter, die lächelte 242
und weinte, und sie fiel ihr in die Arme, zum Entzücken der Presse, die diese Szene ausgiebig festhielt.
»Bring mich hier raus, so schnell du kannst«, flüsterte sie ihrer Mutter ungestüm ins Ohr. »Ich drehe sonst durch.«
Ihre Mutter hielt sie mit ausgestreckten Armen, verstand
nichts und lächelte immer noch. Dann kam Cordelias Bruder, hinter ihm drängte sich nervös und stolz seine Familie, und alle, so kam es Cordelia vor, verschlangen sie mit ihren Blicken.
Schließlich entdeckte sie ihre
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