Vorkosigan 09 Waffenbrüder
hinaufzuflitzen, als das Antigrav-Feld ihn heben konnte.
Er bewegte seine Gesichtsmuskeln, in denen es vom Nimbus des Nervensdisruptors wie von Nadelstichen kribbelte. Jetzt wurde ihm bewußt, daß die Schuhe dieses Mannes, die aus den Hosenbeinen unten herausgeglänzt hatten, barrayaranische Armeestiefel waren. »Quinn!«, schrie er erneut in seinen Kommunikator.
Die nächste Ebene war ein Korridor ohne Bewaffnete. Die ersten drei Türen, die Miles ausprobierte, waren verschlossen. Die vierte öffnete sich zischend. Dahinter war ein hell erleuchtetes Büro, in dem sich anscheinend niemand befand. Als Miles schnell eine Runde durch den Raum machte, fiel sein Blick auf eine leichte Bewegung im Schatten unter einer Konsole. Er bückte sich und erblickte zwei Frauen in den blauen Technikeroveralls der Gezeitenbehörde, die dort kauerten. Die eine quiekste und verdeckte die Augen, die andere umarmte sie und schaute Miles trotzig an.
Miles versuchte freundlich zu lächeln. »Ach … hallo!«
»Wer sind Sie?«, fragte die zweite Frau mit schriller Stimme.
»Oh, ich gehöre nicht zu denen. Die sind … hm … angeheuerte Killer.« Diese Beschreibung traf schließlich zu. »Machen Sie sich keine Sorgen, die sind nicht hinter Ihnen her. Haben Sie schon die Polizei angerufen?«
Die Frau schüttelte stumm den Kopf.
»Das sollten Sie auf der Stelle tun. Ach – haben Sie mich vorhin schon einmal gesehen?«
Sie nickte.
»Welchen Weg habe ich genommen?«
Die Frau zuckte zurück, offensichtlich erschrocken bei dem
Gedanken, von einem Geisteskranken in die Enge getrieben zu sein. Miles breitete in einer stummen Geste der Entschuldigung die 306
Hände aus und ging zur Tür. »Rufen Sie die Polizei!«, rief er ihnen über die Schulter zurück. Als er auf dem Korridor war, hörte er das zarte Piepsen der Tastatur einer Komkonsole.
Mark war nirgendwo auf dieser Ebene. Irgend jemand hatte
jetzt das Grav-Feld des Liftrohres abgeschaltet; die automatische Sicherheitsschranke sperrte den Zugang ab, das rote Glühen des Warnlichtes erfüllte den Korridor. Miles steckte vorsichtig den Kopf in das Liftrohr und erblickte einen anderen Kopf, der von der nächst niedrigeren Ebene heraufschaute. Blitzschnell zog Miles den Kopf zurück. Ein Nervendisruptor knisterte.
An der Außenseite lief ein Balkon um den Turm herum. Miles
schlüpfte durch die Tür am seeseitigen Ende des Korridors und blickte um sich und nach oben. Darüber war nur noch ein Stockwerk. Für den Wurf eines Greifhakens war der Balkon leicht erreichbar. Miles machte eine Grimasse, holte seine Spule heraus und warf. Schon beim ersten Wurf bekam der Greifer festen Halt am Geländer des Balkons. Miles schluckte, dann baumelte er kurz über dem Deich und der See, die vierzig Meter unter ihm toste, und schon krabbelte er auf den Balkon des obersten Stockwerks.
Auf Zehenspitzen ging er zu der Glastür und warf einen prüfenden Blick in den Korridor. Mark kauerte, vom roten Licht in eine Silhouette verwandelt, am Eingang zum Liftrohr und hatte den Betäuber gezogen. Auf dem Korridorboden lag ausgestreckt ein Mann im Technikeroverall – bewußtlos, hoffte Miles.
»Mark?«, rief Miles sanft und zuckte zurück. Mark schnellte herum und schoß mit dem Betäuber in Miles' Richtung. Miles preßte den Rücken gegen die Wand und rief: »Arbeite mit mir zusammen, und ich hole dich hier lebend heraus. Wo ist Ivan?«
Diese Erinnerung daran, daß Mark noch eine Trumpfkarte in
Händen hielt, hatte die erwartete beruhigende Wirkung. Er feuerte nicht noch einmal. »Hol mich hier heraus, und ich sage dir, wo er ist«, konterte Mark.
Miles grinste in die Dunkelheit. »In Ordnung. Ich komme rein.«
Er schlüpfte durch die Tür und gesellte sich zu seinem Klon. Un307
terwegs hielt er nur kurz an, um am Hals des ausgestreckten Mannes nach dem Puls zu fühlen. Glücklicherweise war er spürbar.
»Wie bringst du mich hier raus?«, wollte Mark wissen.
»Na ja, das ist jetzt der kitzlige Teil«, gab Miles zu. Er hielt inne und lauschte angestrengt. Jemand war auf der Leiter im Liftrohr und versuchte leise nach oben zu klettern, war aber noch nicht in der Nähe ihrer Ebene. »Die Polizei ist unterwegs, und wenn sie eintrifft, dann werden sich die Barrayaraner in Windeseile zurückziehen. Sie werden sich nicht gern bei einem peinlichen interplanetarischen Vorfall erwischen lassen, den dann der Botschafter den hiesigen Behörden erklären müßte. Die Operation von heute nacht ist schon
Weitere Kostenlose Bücher