Vorkosigan 09 Waffenbrüder
Schock?«
»Hm? Nein … nein, ich glaube nicht.« Galeni kam mühsam zu
sich. In einem seltsam ruhigen, nachdenklichen Ton fügte er hinzu:
»Vielleicht später.«
Quinn stand vor der Luke, holte Instrumente aus ihren Taschen, klatschte sie an die senkrechte Fläche und las Meßwerte ab.
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»Elektromechanisch mit einer manuellen Notbedienung … wenn
ich ein magnetisches …«
Miles zog Quinn das Abseilgurtwerk herunter und reichte es
Galeni. »Gehen Sie hoch«, zischte er ihm zu, »und schauen Sie, ob Sie auf der anderen Seite einen anderen Eingang finden. Wir müssen diesen kleinen Trottel schnappen!«
Galeni nickte und zog sich das Gurtwerk über.
Miles hielt ihm einen Betäuber und ein Stiefelmesser hin.
»Wollen Sie eine Waffe haben?« Mark war mit allen anderen
Betäubern am Gürtel abgehauen.
»Der Betäuber ist nutzlos«, stellte Galeni fest. »Das Messer sollten Sie lieber behalten. Wenn ich ihn einhole, dann benutze ich meine bloßen Hände.«
Mit Vergnügen, fügte Miles stumm hinzu. Er nickte. Sie hatten beide das barrayaranische Grundtraining im waffenlosen Kampf absolviert. Dreiviertel der Bewegungsfolgen waren Miles wegen der geheimen Schwäche seiner Knochen in einem echten Kampf mit vollem Einsatz verwehrt, aber das galt nicht für Galeni. Der Hauptmann stieg in die Nachtluft empor. Er hüpfte an dem fast unsichtbaren Seil die Wand so behende empor wie eine Spinne.
»Hab's schon!«, schrie Quinn. Die massive Lukentür schwang
auf und gab den Blick auf ein tiefes, dunkles Loch frei.
Miles riß das Handlicht aus seinem Gürtel und sprang hindurch.
Er warf noch einmal einen Blick auf Galens Leiche, an der schon der Schaum leckte. Das graue Gesicht war jetzt von Obsessionen und Qualen befreit. Die Stille des Todes war nicht mit der Reglosigkeit des Schlafes zu verwechseln. Sie war absolut. Der Strahl des Nervendisruptors mußte Galens Kopf voll getroffen haben.
Quinn zog die Luke hinter ihnen zu und blieb stehen, um das Werkzeug wieder in ihre Taschen zu stopfen, während der Mechanismus der Tür blinkte und piepste, glitt und klirrte und so das niedriger gelegene Themsegebiet wieder sicher machte.
Sie eilten beide den Korridor hinauf. Nach nur fünf Metern
mußten sie zum erstenmal stehenbleiben: sie waren an eine
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T-förmige Einmündung gelangt. Der Hauptkorridor war beleuchtet und krümmte sich in beide Richtungen bis außer Sichtweite.
»Du gehst nach links, ich nach rechts«, sagte Miles.
»Du solltest nicht allein sein«, widersprach Quinn.
»Vielleicht sollte ich Zwillinge sein, was? Geh schon, verdammt noch mal!«
Quinn warf verärgert die Hände hoch und rannte los.
Miles sprintete in die andere Richtung. Seine Schritte erzeugten in dem Korridor ein unheimliches Echo, tief drinnen in diesem Berg aus Synthabeton. Er blieb einen Moment lang stehen und lauschte: er hörte nur Quinns leichte, schwächer werdenden Laufgeräusche. Er lief weiter, vorbei an Hunderten von Metern nacktem Synthabeton, vorbei an dunklen und stummen Pumpstationen, vorbei auch an Pumpstationen, die erleuchtet waren und ruhig summten. Er überlegte gerade, ob er vielleicht einen Ausgang übersehen haben könnte – einen oberirdischen Zugang? –, als er auf dem Boden des Korridors einen Gegenstand entdeckte.
Einer der Betäuber war Mark beim Laufen aus dem Gürtel gefallen.
Miles hob ihn auf und steckte ihn in das Halfter, während er weiterlief.
Er aktivierte seinen Armbandkommunikator. »Quinn?« Der
Korridor bog plötzlich in eine Art kahle Halle mit einem Liftrohr ein. Er mußte sich jetzt unter einem der Wachttürme befinden.
Vorsicht vor befugtem Personal! »Quinn?«
Er trat in das Liftrohr und fuhr nach oben. O Gott, auf welcher Ebene war Mark ausgestiegen? Das dritte Stockwerk, das er erreichte, erweiterte sich zu einem Bereich mit Glaswänden und Türen, der wie eine Lobby wirkte. Hinter dem Glas war die Nacht zu sehen. Offensichtlich ein Ausgang. Miles schwang sich aus dem Liftrohr.
Ein völlig fremder Mann in Zivilkleidimg drehte sich auf das Geräusch von Miles' Schritten hin blitzschnell herum und fiel auf ein Knie. In seinen erhobenen Händen glitzerte der silberne Blitz 305
eines Parabolspiegels: die Mündung eines Nervendisruptors. »Da ist er!«, schrie der Mann und feuerte.
Miles wich so schnell in das Liftrohr zurück, daß er von der gegenüberliegenden Wand abprallte. Er griff nach der Sicherheitsleiter an der Seite des Rohrs und begann die Sprossen schneller
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