Vorkosigan 09 Waffenbrüder
Wandschranks. Sie war verschlossen, dunkel, kalt, schleimig, stinkend und völlig still – bis sich der Strom des aufsteigenden Wassers mit gewaltiger Macht in sie ergießen und sie in eine Todeszelle verwandeln würde.
Hereinströmen und die Ohren, die Nase und die ins Dunkel
starrenden Augen erfüllen; hereinströmen und die Kammer bis ganz oben füllen, so daß nicht einmal eine kleine Luftblase für einen verzweifelt keuchenden Mund übrigblieb; hindurchströmen und unaufhörlich den Körper peitschen und verdrehen, gegen die dicken, unnachgiebigen Wände schleudern, bis das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zermantscht war und bis mit der Ebbe die dump310
figen Wasser schließlich zurückwichen und nichts von Wert zurückließen.
»Du …«, keuchte Miles und blickte Mark zornig an, »hast dich dafür hergegeben …?«
Mark rieb nervös die Hände und trat zurück. »Du bist hier – ich habe dich hierher gebracht«, begann er vorwurfsvoll. »Ich habe gesagt, ich würde …«
»Ist das nicht eine ziemlich harte Bestrafung für jemand, der dir nichts Schlimmeres angetan hat als zu schnarchen und dich wachzuhalten? Grrr!« Miles wandte sich angewidert um und begann Tasten an der Steuerung des Lukenschlosses zu drücken. Der letzte Schritt war eine manuelle Maßnahme: den Riegel umzulegen, der die Luke löste. Als Miles die schwere, abgeschrägte Tür nach innen schob, begann ein Alarmsignal zu piepsen.
»Ivan?«
»Ah!« Der Schrei von drinnen war fast ohne Stimme.
Miles schob sich mit den Schultern durch die Luke und schaltete sein Handlicht ein. Die Luke war nahe der Decke der Kammer.
Er blickte hinab auf einen weißen Flecken, einen halben Meter unter sich: Ivans Gesicht, das zu ihm emporschaute.
»Du!«, schrie Ivan in einem Ton des Abscheus, taumelte zurück und fiel in den Schlamm.
»Nein, nicht er«, korrigierte Miles. »Ich.«
»Ah?« Ivans Gesicht war von Falten durchzogen, er war erschöpft und kaum noch zu zusammenhängenden Gedanken fähig.
Miles hatte den gleichen Gesichtsausdruck schon bei Männern gesehen, die zu lange im Kampf gewesen waren.
Miles warf sein Abseil-Gurtwerk hinab – er schauderte, als er daran dachte, daß er sich bei den Vorbereitungen oben in der Triumph fast dafür entschieden hatte, diesen Teil seiner Ausrüstung nicht mitzunehmen – und befestigte die Spule. »Bereit zum Aufstieg?«
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Ivan bewegte die Lippen, aber er streifte schweigend das
Gurtwerk über. Miles drückte auf die Steuerung der Spule, und Ivan wurde hochgehoben. Miles half ihm durch die Luke zu gleiten. Ivan stellte sich mit gespreizten Beinen hin, stützte sich mit den Händen auf die Knie und atmete schwer. Seine grüne Uniform war feucht, zerknittert und beschmiert. Seine Hände waren schmutzig, seine Nägel bluteten. Er mußte in der Dunkelheit an die Wand getrommelt, gekratzt und geschrien haben, vom Geräusch der Pumpen übertönt, ungehört …
Miles schwang die Lukentür zurück. Sie klickte fest zu. Er
drehte den Handriegel um. Das Alarmpiepsen verstummte. Da der Sicherheitsstromkreis wieder geschlossen war, begann die Pumpe sofort zu vibrieren. Aus der Pumpkammer drang kein lauteres Geräusch als ein monströses unterschwelliges Zischen. Ivan setzte sich mit einem Plumps auf den Boden und drückte das Gesicht gegen die Knie.
Miles kniete sich besorgt neben ihn. Ivan wandte ihm den Kopf zu und brachte ein mattes Grinsen zustande. »Ich glaube«, schluckte er, »ich werde mir von jetzt an Klaustrophobie zu meinem Hobby machen …«
Miles erwiderte sein Grinsen und klopfte ihm auf die Schulter.
Dann stand er auf und wandte sich um. Mark war nirgendwo zu sehen.
Miles spuckte aus und hob seinen Kommunikator an die Lippen.
»Quinn? Quinn!« Er trat in den Korridor hinaus, blickte in beide Richtungen und lauschte angestrengt. In der Ferne verklang das schwache Echo laufender Schritte, und zwar in der Gegenrichtung des von den Barrayaranern besetzten Wachtturms. »Der kleine Scheißkerl«, murmelte Miles. »Zum Teufel mit ihm!« Er stellte seinen Kommunikator auf den Kanal für die Luftpatrouille um.
»Sergeant Nim? Hier Naismith.«
»Jawohl, Sir.«
»Ich habe den Kontakt zu Kommandantin Quinn verloren.
Schauen Sie, ob Sie sie ausfindig machen können. Wenn nicht, 312
dann suchen Sie nach ihr. Ich habe sie zuletzt zu Fuß im Innern der Gezeitenbarriere gesehen, auf halbem Weg zwischen den Türmen Sechs und Sieben, und zwar unterwegs in südlicher Richtung.«
»Jawohl,
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