Vorkosigan 11 Spiegeltanz
ist vielleicht noch wütend wegen dem, was ich ihm in London angetan habe«, sagte Mark ängstlich.
»Er wird darüber hinwegkommen«, prophezeite die Gräfin zuversichtlich. »Ich muß zugeben, Miles hätte es ausgesprochen gefallen, Leute mit dir zu verwirren.«
Eine Eigenart, die Miles offensichtlich von seiner Mutter geerbt hatte.
»Ich lebe jetzt schon fast drei Jahrzehnte auf Barrayar«, sagte sie nachdenklich. »Wir sind schon so weit gekommen. Und doch müssen wir noch so schrecklich weit gehen. Selbst Arals Wille ermüdet. Vielleicht können wir nicht alles in einer Generation schaffen. Zeit für den Wachwechsel, meiner Meinung nach … je nun.«
Zum erstenmal lehnte er sich in seinem Sessel zurück und ließ sich von ihm tragen. Er begann zu schauen und zu hören, anstatt nur zu kauern. Eine Verbündete. Es schien so, als hätte er eine 275
Verbündete, obwohl er sich noch nicht sicher war, warum. Galen hatte auf Gräfin Cordelia Vorkosigan nicht viel Zeit verwendet, da er total von seinem alten Feind, dem Schlächter von Komarr, besessen gewesen war. Galen hatte sie ernstlich unterschätzt, so schien es. Sie hatte hier neunundzwanzig Jahre überlebt … Würde er das auch schaffen? Zum ersten Mal erschien es ihm menschenmöglich.
An der drehbaren Doppeltür zum Korridor klopfte es kurz. Auf das ›Ja?‹ der Gräfin Vorkosigan öffnete sie sich teilweise, ein Mann steckte den Kopf herein und lächelte sie gespannt an.
»Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt hereinkomme, lieber Captain?«
»Ja, ich glaube schon«, sagte Gräfin Vorkosigan.
Er kam herein und schloß die Tür wieder. Marks Kehle war wie zugeschnürt; er schluckte und atmete, schluckte und atmete, und hatte dabei beängstigend wenig Kontrolle über sich selbst. Er würde nicht vor diesem Mann ohnmächtig werden. Oder sich erbrechen. Er hatte inzwischen sowieso nicht mehr als einen Teelöffel Galle übrig in seinem Bauch. Das war er, unverwechselbar er, Premierminister Admiral Graf Aral Vorkosigan, früher Regent des Kaiserreichs von Barrayar und de facto Diktator dreier Planeten, Eroberer von Komarr, militärisches Genie, führender politischer Kopf – aber auch beschuldigt, ein Mörder, Folterer und Verrückter zu sein.
Mark hatte Vids von ihm studiert, die in jedem Lebensalter aufgenommen worden waren; vielleicht war es gar nicht so seltsam, daß sein erster zusammenhängender Gedanke war: Er sieht älter aus, als ich erwartet habe. Graf Vorkosigan war zehn Standardjahre älter als seine betanische Frau, doch er sah zwanzig oder dreißig Jahre älter aus. Sein graues Haar war um eine Nuance 276
weißer als in den Vids noch vor zwei Jahren. Für einen Barrayaraner war er klein, seine Augen befanden sich auf gleicher Höhe mit denen der Gräfin. Sein Gesicht war breit, angespannt, verwittert. Er trug grüne Uniformhosen, aber keine Jacke, einfach ein cremefarbenes Hemd mit aufgerollten Ärmeln, am runden Kragen offen. Falls diese Kleidung ihm ein legeres Aussehen geben sollte, so war dies völlig mißlungen. Mit seinem Eintreten war die Spannung im Raum spürbar gestiegen.
»Elena ist untergebracht«, berichtete Graf Vorkosigan und ließ sich neben der Gräfin nieder. Seine Haltung war offen, mit den Händen auf den Knien, aber er lehnte sich nicht bequem zurück.
»Der Besuch scheint mehr alte Erinnerungen aufzurühren, als sie verkraften kann. Sie ist ziemlich durcheinander.«
»Ich werde bald gehen und mit ihr reden«, versprach die Gräfin.
»Gut.« Die Augen des Grafen begutachteten Mark. Verblüfft?
Angewidert? »Nun gut.« Der erfahrene Diplomat, dessen Aufgabe es war, drei Planeten den Weg zum Fortschritt zu weisen, saß sprachlos da, verlegen, als wäre er unfähig, Mark direkt anzusprechen. Statt dessen wandte er sich an seine Frau. »Er ist als Miles durchgegangen? «
In der Augen der Gräfin Vorkosigan funkelte dunkle Amüsiertheit. »Er hat seitdem zugenommen«, sagte sie sanft. »Ich verstehe.«
Das Schweigen dauerte qualvolle Sekunden an.
»Das erste, was ich tun sollte, wenn ich Ihnen begegne, war, zu versuchen Sie zu töten«, platzte Mark heraus.
»Ja, ich weiß.« Graf Vorkosigan lehnte sich auf dem Sofa zurück und richtete seinen Blick endlich auf Marks Gesicht.
»Man hat mich etwa zwanzig verschiedene Ersatzmethoden üben lassen, bis ich sie im Schlaf beherrschte, aber die erste Methode 277
wäre ein Hautpflaster mit einem lähmenden Gift gewesen, das bei einer Autopsie auf ein Herzversagen hingewiesen
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